Editorial

Sitzverbot

Oder: Wie die Stadtverwaltung Leverkusen dafür sorgt, daß am Standort Leverkusen auch wirklich gestanden wird

Aus den friedensbewegten Zeiten der Nachrüstungsdiskussion sind sie noch hinlänglich bekannt: Vorzugsweise vor Kasernentoren kam das Instrument der Sitzblockade zur Anwendung. Regelmäßig fanden diese an Happenings erinnernden Sitzstreiks ihr Ende im Strahl der Wasserwerfer, indem Polizeihundertschaften Demonstranten für Demonstranten beiseite trugen. Bisweilen nutzte man diese Art des "passiven Widerstandes" auch, um die Andienung des einen oder anderen Atomkraftwerkes zu behindern.
Heutzutage ist leider eine Verweichlichung der Szene festzustellen. Anläßlich von Castortransporten demontiert man gleich die Schienenstränge, der Mühe, mit Menschenketten den Transport zu behindern, unterwirft man sich nicht mehr. Dabei hat die Sitzblockade selbst die höchsten Gerichte beschäftigt: Ist sie nun Nötigung oder nicht?
Das Ordnungsamt der Stadt Leverkusen agiert da schon präventiv, indem es von vornherein Sitzverbote ausspricht. An weit unverfänglicheren Orten als Kasernen oder atomaren Endlagern. Als Schauplatz reicht da die Filiale einer Bäckerei in der beschaulichen Schlebuscher Fußgängerzone.
Dazu muß man wissen: Inzwischen gehört zu fast jeder Bäckerei oder Konditorei eine Ecke mit Stehtischen, an denen man bei einer Tasse Kaffee je nach Tageszeit ein belegtes Brötchen oder ein Stückchen Kuchen verzehren kann. Ähnlich wie viele Fleischereien einen Metzgerimbiß mit einem Tagesgericht anbieten oder eben außer Haus als Partyservice fungieren.
All dies ist ein willkommenes Zusatzgeschäft und in mauen Zeiten wie diesen besonders wichtig. Sicher auch für jene kleine Schlebuscher Bäckerei, die täglich von Hunderten von Kunden aufgesucht wird. Dort kann man ebenfalls an einem Stehtisch etwas trinken oder essen.

Die verwerfliche Sitzhilfe

Doch zusätzlich zu den Stehtischen ist dort entlang der Wand gegenüber der Verkaufstheke eine sogenannte Sitzhilfe angebracht. Die Betonung liegt hierbei auf "Hilfe", denn sich gemütlich hinsetzen oder gar breitmachen ist unmöglich. Selbst kleine Kinder können sich darauf nicht halten und müssen sich wie die Erwachsenen an den Stehtischen abstützen.
Seit dem 1. Januar 1998 hat die Stadtverwaltung Leverkusen es den Kunden dieser Bäckerei per Ordnungsverfügung unmöglich gemacht, diese Sitzhilfe in Anspruch zu nehmen. Über die Einhaltung dieser Verfügung hat selbstredend das Verkaufspersonal zu wachen.
Der Grund für diese Auflage liegt darin, daß es in dieser Bäckerei kein "stilles Örtchen" gibt, was die Kundschaft gegebenenfalls benutzen könnte, wie man es eben in jedem Restaurant vorfindet, wo man jedoch ungleich üppigere Mahlzeiten zu verspeisen pflegt.
Über diesen Umstand informiert die Bäckerei ihre Kunden durch große DIN A4-Zettel, die mit Klebestreifen an jenen nun nicht mehr zu nutzenden Sitzhilfen angebracht wurden.
Zwar kann man nun seine Kaffee nicht mehr im Zustand des bequemen Anlehnens schlürfen, sondern muß stehen, kann dabei aber die höchst unterhaltsamen Kommentare und Gespräche der anwesenden Kundschaft verfolgen. Diese fallen entsprechend gallig aus.
Die Ordnungsverfügung der Stadt stellt einen Beitrag zur Förderung von Staatsverdrossenheit erster Güte dar. Durch die Exekution solcher kleinlicher Paragraphen wird dem Bürger gezielt das Verständnis für Vorschriften und Gesetze im allgemeinen und Verwaltung und Politik im besonderen verleidet.
Zweifellos dürfte das Ordnungsamt mit seiner Verfügung auf der sicheren Seite von Recht und Gesetz stehen. Doch haben wir angesichts von fast fünf Millionen Arbeitslosen wirklich keine anderen Probleme?
STANDort Deutschland: Hauptsache alles geregelt!