Politik

Chaos?

Eher ein Grund zur Freude: Die neue Freiheit beim Telefonieren

Ist das typisch deutsch? Ein lange Jahre durch die Bundespost und eines ihrer Nachfolgeunternehmen, die Telekom, beherrschtes Monopol mit überhöhten Preisen wurde am 1. Januar 1998 definitiv abgeschafft. Anders formuliert: Die deutschen Telefonsteuern gibt's nicht mehr.
Die Reaktion weiten Teilen der Medien war erstaunlicherweise nicht etwa Vermittlung der neuen Situation, sondern Jammern über ein angebliches Telefon-Chaos.
Da gibt es ein knappes Dutzend neuer bundesweiter Anbieter mit zum Teil sehr unterschiedlichen Tarifstrukturen. Na klar: Chaos. Da haben Hotels, Behörden und Unternehmen die Vorwahlnummern der neuen Anbieter gesperrt, weil der Telekom-Gebührenimpuls (logischerweise) nun nicht mehr für die Zuordnung der Telefonate an verschiedene Nebenstellen genutzt werden kann: ein katastrophales Chaos.
Und zuguterletzt kam die Telekom genau zur Jahreswende (sicher nicht zufällig) mit ihrer Forderung, für den dauerhaften Wechsel bei Ferngesprächen oder dem Wechsel bei Ortsgesprächen unter Mitnahme der Nummer saftige Einmalgebührezu verlangen. Chaos, logisch.

"Call-by-Call" und "Pre-Selection"

In Wirklichkeit gab es nur ein Chaos: In den Köpfen der Verbraucher und Journalisten.
Trauriger Höhepunkt in Leverkusen war ein Artikel im "Leverkusener Anzeiger", der erstaunlicherweise feststellte, die privaten Anwender seien noch gar nicht so weit. Der örtliche Telekom-Sprecher behauptete, es seien gerade mal 100 Kunden seit Jahresbeginn abgesprungen. Der Mann wird sich noch wundern.
Viel zu selten wurde klargemacht (im "Leverkusener Anzeiger" gar nicht), daß jeder private Telefonbenutzer jedes Ferngespräch über eine Telefongesellschaft seiner Wahl führen kann. Es genügt lediglich die Vorwahl des neuen Anbieters (010XX). Wer zum Beispiel nach München telefonieren will, wählt einfach 010XX-089-YYYYYY, wobei "XX" für die Nummer des Anbieters steht (z.B. Arcor 01070, Talkline 01050 usw.).
Bei einigen Gesellschaften kann man direkt loslegen (Arcor, Mobilcom), bei anderen (Talkline, Telepassport) ist vorher eine Anmeldung notwendig. Diese Anmeldung ist kostenfrei. Und natürlich kann man sich bei mehreren Gesellschaften anmelden.
Dieses Vorwahl-Verfahren nennt man "call-by-call". Es macht die eigentliche Faszination der Liberalisierung aus.
Im "pre-selection"-Verfahren hingegen wechselt man komplett für Ferngespräche zu einer anderen Gesellschaft. Vorteil: Man kann weitere deutliche Rabatte einstreichen. Nachteil: Jedes Gespräch, das mit "0" beginnt, wird so zum Ferngespräch. Wer aber zum Beispiel in Leverkusen wohnt, dürfte viele Gespräche nach Köln oder Opladen führen - und da ist der jetzige Telekom-Ortstarif klar billiger als der Regionaltarif der neuen Anbieter: Eine tückische Gebührenfalle.
Allerdings kann der "pre-selection"-Kunde auch weiterhin über die Telekom Ferngespräche abwickeln - über "call-by-call" (Telekom-Vorwahl: 01033). Klingt verwirrend, ist aber im Grunde nur logisch.

Keine Gebühren

Eins ist jetzt schon sicher: Beim Nutzen neuer Telefongesellschaften fallen keine einmaligen Gebühren der Telekom an. Und sollte die Telekom sich doch durchsetzen, würden diese Gebühren, die das besonders interessante "call-by-call"Verfahren gar nicht betreffen, nach derzeitigem Stand der Dinge von den neuen Telefongesellschaften getragen.
Aber auch beim Telefonieren über die neuen Anbieter ist Wachsamkeit geboten. Alle nennen ihre Preise auf Minutenbasis. Die Taktzeiten sind jedoch unterschiedlich: Mobilcom etwa rechnet jede angefangene Minute ab, Talkline alle 10 Sekunden, andere sogar sekündlich, was besonders vorteilhaft ist.
Die unterschiedlichen Taktzeiten machen einen Preisvergleich schwieriger. Aus der Grafik unten mit beispielhaften Januar-Preisen und -Takten von Talkline und Mobilcom sieht man, daß man bei Talkline trotz höherer Minuten-Grundpreise von knapperen Takten profitieren kann, besonders bei relativ kurzen Gesprächen.
Die Preisgestaltung der neuen Anbieter ist sehr unterschiedlich. Manche, wie Arcor und Telepassport, haben vergleichsweise differenzierte Tarife, während etwa Mobilcom und Talkline eher grob vorgehen. Doch hier ist alles im Fluß. Und nicht zuletzt die Telekom wird am 1. März ihre Preise (die als einzige genehmigt werden müssen) kräftig senken, wovon besonders ISDN-Nutzer profitieren sollen.
Nicht immer sind die Neuen billiger. Das gilt nicht nur für den (bisher konkurrenzlosen) Telekom-Nachttarif von 2 bis 5 Uhr, der sich auch weiterhin für größeres Faxaufkommen und Datentransfer eignet.
Übrigens sind im Internet bereits die ersten (allerdings nicht unbedingt brauchbaren) Programme downloadbar, die für die jeweilige Tageszeit den günstigsten Anbieter herausfinden. Problematisch dabei: Weder Taktzeiten noch Rabatte (etwa für Vieltelefonierer) können dabei berücksichtigt werden. Die billigste Gesellschaft gibt es nicht. Man muß sich die passendsten heraussuchen.
Das Telefonieren in Deutschland wird etwas komplizierter. Nicht sehr viel, wie ich finde, denn der Telekom-Tarif war auch bisher etwa so übersichtlich wie eine Steuererklärung. Und so etwas ähnliches war er ja auch.

Links

Telefongesellschaften: Sonstiges:
  • Allg. Übersicht
  • Telefongesellschaften im Überblick
  • Derzeit günstigster Anbieter (Echtzeit)
  • Preisvergleiche
(Stand Ende Januar 1998. Ohne Anspruch auf Richtigkeit oder Vollständigkeit.)

 

Grafik

Einfluß Taktzeiten auf Gesprächspreis
Ferngespräch ab 18.00 Uhr, Beispiel anhand der Januar-Preise und -Takte von Mobilcom und Talkline
Mobilcom: 0,19 DM/Min (Takt: 1 Minute)
Talkline: 0,22 DM/Min (Takt: 10 Sekunden)