Politik

Mord oder Notwendigkeit?

Die Abtreibungsdiskussion bricht wieder auf

Platzt der Kompromiß zum §218 oder wird das Thema beerdigt? Welche Lösungsmöglichkeiten gibt es bei der Abtreibungsproblematik? Kann sich unsere Gesellschaft Abtreibungen gesellschaftspolitisch und moralisch überhaupt leisten?
Claudia Nolte hat das Thema Abtreibung erneut zur Sprache gebracht und damit in ein Wespennest gestochen. Dabei ist das Thema noch nicht vom Tisch, denn sofort brachen die alten Narben wieder auf. Hinzu kam dann noch das Papstschreiben an die Bischöfe, in dem diese aufgefordert werden, den Beratungsschein, der Voraussetzung für eine straffreie Abtreibung ist, in den Beratungsstellen der katholischen Kirche nicht mehr auszustellen.
Der mühsam gefundene Kompromiß zum §218 des StGB hatte das Thema Abtreibung von der Tagesordnung genommen, aber die streitenden Lager haben den Kompromiß noch nicht akzeptiert, wie man an den Reaktionen auf Frau Nolte sieht. Inge Wettig-Danielmeier von der SPD verurteilte sie als einen Angriff auf den gerade gefundenen Kompromiß und sprach damit auch für viele namhafte Politiker/innen der SPD, der F.D.P. und der Grünen.

Kein Gang nach Karlsruhe

Auf der Gegenseite griff der Münchener Kardinal Wetter das Thema erneut auf und verglich die vielen Abtreibungen auf ziemlich unglückliche Weise mit dem Sexualmord an der kleinen Natalie.
Auch Bundeskanzler Kohl nahm zu diesem Thema in einer Kabinettsitzung Stellung und untersagte ein weiteres Vorgehen von Frau Nolte oder gar dem Kabinett zu diesem Thema, insbesondere eine verfassungsrechtliche Überprüfung des Abtreibungskompromisses durch das BVG.
Doch läßt sich dieses Thema nicht totschweigen. Denn die Zahlen, die Frau Nolte arlamiert haben, sollten uns allen zu denken geben.

Abbrüche in Deutschland
1995 97.900
1996 130.899
1997 (erstes Halbjahr) 68.170

Sicherlich kann man davon ausgehen, daß nach der Liberalisierung des Abtreibungsrechtes die Dunkelziffern nicht mehr vorhanden sind, d.h. daß keine oder fast keine illegalen Abtreibungen mehr durchgeführt wurden und das der sogenannte Abtreibungstourismus nicht mehr stattfand.

96,46%

Trotzdem sind die Zahlen erschreckend hoch. Interessant sind die Gründe, die die abtreibenden Frauen angaben: So trieben 3,1% aus medizinischen Gründen ab (medizinische Indikation), noch 0,4% aus psychiatrischen Gründen (medizinische Indikation) und 0,04% der Frauen aus kriminologischen Gründen (kriminologische Indikation).
Aber 96,46% der Frauen hatten persönliche und vor allem finanzielle Gründe. Und das in einem so reichen Staat wie die Bundesrepublik Deutschland.
Sicher würde eine weitergehende finanzielle Hilfe der werdenden Mütter und deren Unterstützung in den ersten Jahren nach der Geburt des Kindes neue Löcher in die Haushalte reißen, aber Kinder sind zu späteren Zeiten Zahler in die Rentenversicherung, somit auch in gewissem Sinne ein Beitrag zur Altersvorsorge. Diese finanziellen Mittel würden sich also in ca. 20 Jahren rechnen, wenn man dieses Thema einmal so kühl betrachten will.
Manche mögen nun einwenden, es sei doch schon einiges für die Mütter erreicht worden, so z.B. die Anrechnung von Kindererziehungszeiten auf die Rentenversicherung. Zweifellos richtig, aber kann es denn sein, daß eine Mutter 24 Kinder großziehen muß um eine Rente in Höhe des Sozialhilfesatzes zu erreichen?
Noch immer sind Doppelverdiener, die ganz bewußt keine Kinder wollen, im Alter besser gestellt als Familien mit Kindern. Auch sieht die Gesellschaft Familien mit vielen Kindern als asozial an. Hier ist dringend eine Trendwende erforderlich.
Vom moralischen Standpunkt aus kann man es nicht gutheißen, Kindern die Lebensberechtigung abzusprechen. Abtreibung als verspätete Verhütung kann nicht durch den Abtreibungskompromiß gedeckt sein. Es gibt heute eine Vielzahl von Verhütungsmitteln, so daß jeder eine Schwangerschaft vermeiden kann. Aber vielleicht gehört hierzu auch ein verantwortlicher Umgang mit der Sexualität, der auch eine gewisse geistige und menschliche Qualifikation voraussetzt.
Abtreibungen sind und bleiben die Vernichtung von Leben und sollten von der Gesellschaft in diesem Umfang nicht toleriert werden. Finanzielle Gründe sind ein Armutszeugnis für diesen Staat, ungewollte Kinder ein Armutszeugnis für die Eltern. Abtreibungen müßten also nicht sein, mit Ausnahme der medizinischen und der kriminologischen Indikationen.
Wenn der Generalsekretär der F.D.P. die Beratungsbescheinigung mit Hilfe und Nächstenliebe gleichsetzt, klingt das gerade aus seinem Munde wie Hohn. Westerwelle leitet hier quasi eine Verpflichtung der Kirche aus dem reinen Anspruch auf Nächstenliebe ab. Der Herr sollte weiterhin bei seiner Partei managen, womit er übrigens genug zu tun haben dürfte, berücksichtigt man auch die geplante sog. "feindliche Übernahme" durch Studenten.
Finanzielle Hilfen sollten großzügig aufgebracht werden. So ist doch Kanzler Kohl im Jahre 1982 angetreten, um unter anderem die Familien zu stärken. Auch sollte die Durchsetzung von christlicher Politik aus dem Parteinamen Verpflichtung genug sein. Aber es scheint, daß in 16 Jahren nicht allzuviel passiert ist.
Auch das Totschweigen von Claudia Noltes Aufgreifen der Abtreibungsproblematik ist für den Vorsitzenden einer christlichen Volkspartei nicht akzeptabel.

Schönwetterchristentum

Die deutschen Bischöfe wiederum haben auf das Papstschreiben mit einer Kommission reagiert, doch ihr Ergebnis, ob aus der Schwangerschaftsberatung nach herkömmlichem Recht ausgestiegen wird, ist noch offen. Über die Richtung sollte man sich jedoch keine Illusionen machen, auch die CDU nicht.
Doch wenn man eine Partei mit der Bezeichnung christlich schmückt, dann sollte das auch Verpflichtung sein und nicht nur Schönwetterchristentum, das ich dann wie eine Fahne vor mir hertrage, wenn es mir ins Konzept paßt. Oder sollte die geistigmoralische Wende eventuell zur Rolle Rückwärts mit integrierter Bauchlandung geworden sein?

K.R.