Politik

Messlatte

Schröder und die möglichen Folgen der Niedersachsenwahl

Läßt man das ablaufende Jahr noch einmal Revue passieren, lag die Gunst der Demoskopie eindeutig auf Seiten der größten Bonner Oppositionspartei. Entgegen der geübten Praxis aus den Vorjahren waren es diesmal CDU und CSU, die in das berühmte Sommerloch fielen und es auch in aller Breite auszufüllen vermochten.
Die Sozialdemokraten schafften es noch nicht einmal, sich in der Frage des Kanzlerkandidaten zu verfangen, nachdem Helmut Kohl im Frühjahr seinen erneuten Anspruch formuliert hatte. Angesichts einer über den Winter drohenden Arbeitslosenzahl von zeitweise über fünf Millionen Menschen stehen die Vorzeichen für eine Fortführung der gegenwärtigen Regierungskoalition aus CDU/CSU und FDP über den Tag der Bundestagswahl 1998 hinaus nicht eben gerade günstig.

Harmonisches Duo?

Freilich hat auch die SPD keine schlüssigen Konzepte, die unser Land aus der gegenwärtigen Situation herausführen. Vielmehr beschränkt man sich lieber auf eine Blockadepolitik, indem man seine Mehrheit im Bundesrat instrumentalisiert. Statt dem erwarteten Krach gelang es dem SPD Bundesvorsitzenden Oskar Lafontaine sogar, mit seinem innerparteilichen Mitbewerber um die Kanzlerkandidatur, dem niedersächsischen Ministerpräsidenten Gerhard Schröder, gar ein harmonisches Miteinander zu inszenieren, indem man sich wie in einem Spiel die Bälle zuspielte.
Dabei mag es als dahingestellt gelten, ob hier Lafontaines Fähigkeit zum Tragen kommt, die SPD nach außen als geschlossenen Verband darzustellen, oder ob es nur die Nähe der vermeintlichen Machtergreifung ist, was die Partei derzeit majorisiert. Währenddessen marschiert Gerhard Schröder in den öffentlichen Umfragen voran; Oskar Lafontaine gewinnt innerparteilich an Reputation.

Die Zigarre macht's noch nicht

Schröder profiliert sich in der Standortdebatte, gibt sich als Mann der Wirtschaft, wobei allerdings eine im Gesicht steckende Zigarre noch lange keinen zweiten Ludwig Erhard macht. Er präsentiert sich als Musterschüler - nach dem Motto: Das Soziale ist bei uns in der SPD sowieso am besten aufgehoben, und in wirtschaftlichen Dingen sind wir eben lernfähig.
So stimmt es eigentlich verwunderlich, daß Verlautbarungen Schröders von Leuten beklatscht werden, die ähnliches auf Seiten der Union eigentlich als selbstverständlich voraussetzen und es von daher überhaupt nicht wahrnehmen.
Dabei würde ein Kanzler namens Gerhard Schröder gerade denjenigen Arbeitnehmern die Tränen in die Augen treiben, die ihre Interessen heute noch besser bei der SPD gewahrt sehen. Hier würde spätestens klar, was man an einem Bundeskanzler Kohl gehabt hat, auch wenn dieser die Kürzung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfalle auf achtzig Prozent gesetzlich durchsetzte.
Aber einstweilen liegt Lafontaine als SPD-Chef gar nicht so falsch, die Frage des Kanzlerkandidaten gemäß Zeitplan erst im Frühjahr nächsten Jahres für seine Partei zu entscheiden. Denn vor dieser Entscheidung haben die Bürger in Niedersachsen am 1. März 1998 über die nach Sitzen absolute Mehrheit der SPD-Regierung unter der Führung von Schröder via Urnengang zu richten.

Prozentfalle

Schröder selbst war es, der vollmundig seinen Anspruch auf die Kanzlerkandidatur mit einem maximal hinnehmbaren Stimmenverlust von Zweikommanull bei der niedersächsischen Landtagswahl verband. Dabei ließ er sich noch nicht einmal auf eine Diskussion um eine Stelle hinter dem Komma ein, wie wir sie etwa im Rahmen der Auseinandersetzung um die Einführung des Euro hinreichend gewohnt sind.
Und Schröder wird nicht müde, auf Nachfrage sein Kriterium zu zementieren. Gleiches wurde bereits bei der Hamburger Bürgerschaftswahl dem vormaligen ersten Bürgermeister Henning Voscherau zum Verhängnis. Dabei hatte dieser sich bei den dort eingefahrenen Stimmenverlusten der SPD noch nicht einmal auf konkrete Zahlen, sondern lediglich auf eine persönliche Schmerzgrenze festgelegt. Er zog trotz einer Mehrheit von SPD und Bündnis 90/Die Grünen die Konsequenzen und stand für eine neuerliche Legislaturperiode nicht mehr zur Verfügung.
Hielte das Votum der Niedersachsen Schröders Kriterien nicht stand, kommt er schlechterdings um einen Ausstieg aus seinem Anspruch auf die Kanzlerkandidatur nicht herum. Das Problem Schröder hätte sich in diesem Fall für die Ambitionen eines Oskar Lafontaine von selbst erledigt. Sollte es am 1. März kommenden Jahres gar zu einer Neuauflage einer rot-grünen Koalition in Niedersachsen kommen, immerhin wahrscheinlicher als ein schwarz-gelbes Bündnis, wäre ein weiteres Modell für ein Bündnis zwischen SPD und Alternativen im Bund gegeben, mithin das sechste auf Landesebene.
Und die CDU im Lande stellt unter dem inzwischen auch bundesweit bekannten Opositionsführer Christian Wulff durchaus eine ernste Gefahr dar - besonders bei Jungwählern.
Das stimmenziehende Zugpferd Schröder wäre aber aus dem Rennen, dies könnte die entscheidenden Stimmen für den Sieg einer rot-grünen Regierungskoalition kosten. Denn Lafontaine hat bereits einmal als Herausforderer von Helmut Kohl verloren und liefe Gefahr, nach einem Verzicht Schröders fortan nur noch als zweite Wahl eine Art Ersatzspieler abzugeben. Lafontaine fiele der Anspruch auf die Kanzlerkandidatur in den Schoß.

Nur Kanzler

Schröder setzte derweil noch eines darauf, indem er vollmundig ankündigte, im Falle einer SPD geführten Regierung ausschließlich für das Amt des Kanzlers zur Verfügung zu stehen. Für einen Ministerposten, gar im Kabinett Lafontaine, wäre er sich dann schon zu schade. Er bliebe dann schon lieber Ministerpräsident in seinem Bundesland.
Frei nach dem Motto, lieber der erste im Land, als zweiter im Bund. Ein Spiel um Alles oder Nichts! Eine Schlappe für Schröder am 1. März 1998 könnte Lafontaine zwar den reibungslosen innerparteilichen Durchmarsch gewährleisten, die Aussichten für die SPD insgesamt aber wieder schmälern. Demoskopisch würde dies die Partei wieder zurückwerfen.
Sollte Schröder sich jedoch behaupten und aus der Wahl am 1. März 1998 gar gestärkt hervorkommen, steht der Partei mit der Personalauswahl zwischen beiden möglichen Kanzlerkandidaten ein Richtungsstreit bevor. Eine öffentlich ausgetragene Auseinandersetzung könnte das Bild, welches die SPD gegenwärtig abgibt, mächtig in die Schieflage bringen.
Der 1. März 1998 markiert so oder so eine Art Vorentscheidung der Bundestagswahl 1998. Man kann eben nicht mit Schröder kämpfen, um mit Lafontaine zu siegen. Es bleibt jedenfalls spannend!