Politik

Schluß mit der Gleichmacherei!

Für mehr Ehrlichkeit bei der Benotung

Die Bildung ist in aller Munde. Nicht nur die jüngste Rede des Bundespräsidenten in Berlin, auch die "Streiks" der Studenten und die Klagen der Arbeitgeber über immer schlechtere Schulabgänger deuten darauf hin: Mit unserem Bildungssystem stimmt etwas nicht. Überfüllte Hörsäle, hohe Studiendauern und Lehrlinge, von denen immer mehr nicht einmal grundlegende Dinge wie Rechtschreibung oder Grundrechenarten noch einigermaßen sicher beherrschen - was früher einmal der große Vorteil des Standorts Deutschland war, die hohe Qualifikation der Erwerbstätigen, ist mittlerweile arg ins Gerede gekommen.
Woran liegt es? Auf den Blick scheint alles klar: Die knappen Kassen machen auch vor der Ausbildung der jungen Generation nicht halt. Zunehmende Klassenstärken in den Schulen, überfüllte Seminare, schlecht ausgerüstete, veraltete Labors und baufällige Gebäude an den Unis erleichtern nicht gerade einen zügigen und guten Abschluß der Ausbildung.

Zuviel oder zuwenig?

Man kann die Diagnose allerdings auch andersherum stellen: Statt "zuwenig Geld für die vielen Studenten" könnte man auch sagen "zuviele Studenten für das wenige Geld". In der Tat hat der Anteil der Abiturienten an den Schülern eines Jahrgangs sowie zusätzlich der Anteil der Studienanfänger an den Abiturienten in den letzten Jahrzehnten enorm zugenommen.
Ohne genauer auf die diesbezüglichen Statistiken einzugehen, sei hier die Frage gestellt: Ist das gut so? Kann es nicht sein, daß sich der Qualitätsverlust im Bildungssystem und die hohen Abiturienten- und Studentenzahlen gegenseitig bedingen?
Es fällt schwer zu glauben, daß die Schüler heute so viel schlauer sind als die Schüler vor zwanzig, dreißig Jahren. Vieles deutet darauf hin, daß die Anforderungen zum Erwerb des Abiturs an vielen Schulen gesunken sind. Es ist schon interessant, welche Verrenkungen manche Schulleitung anstellt, um angesichts der insgesamt zurückgehenden Schülerzahlen, den Bestand an der eigenen Schule zu wahren. Ob Ausstellungen, Konzerte, spezielle AGs oder Werbung mit besonderen Unterrichtsformen wie "Freiarbeit", kaum etwas wird unterlassen, um die Aufmerksamkeit der Eltern potentieller Schüler auf die eigene Anstalt zu lenken.

Wer die Wahl hat...

Wohlgemerkt, dies trifft nicht auf jede Schule zu. Vielmehr streut die Qualität stark von Schule zu Schule und auch unter den Lehrern. Tatsächlich vorgekommen sind schon Fälle in denen Schüler der Oberstufe ein Gymnasium wegen mangelhafter oder ungenügender Leistungen im Fach Mathematik in Richtung Gesamtschule verließen und dort auf einmal im gleichen Fach "gut" bis "sehr gut" benotet wurden. Bei geschickter Schul- bzw. Lehrerwahl ist die Erlangung des Abiturs nur eine Frage der Zeit.
Bei der Vergabe von Studienplätzen in zulassungsbeschränkten Fächern führt eine derartig lasche Notenvergabe zu großen Ungerechtigkeiten. Bewerber A bekommt einen Studienplatz, weil er sich eine leichte Kurskombination in der Oberstufe ausgesucht hat, während Bewerber B an einer "harten" Schule war und daher die schlechteren Noten bekommen hat, obwohl er dort viel mehr gelernt hat. Wozu gibt es eigentlich Noten, wenn nicht zum (einigermaßen) objektiven Vergleich von Leistungen und Fähigkeiten? Viele Hochschulen wollen angesichts der Unzuverlässigkeit der Schulnoten schon eigene Eingangsprüfungen durchführen.
Es wird Zeit daß sich die Schulen wieder auf den Sinn der Notengebung besinnen. Schulnoten sagen doch nichts darüber aus, ob jemand ein guter oder schlechter Mensch ist! Die Heuchelei, mit der manche "Guts" oder "Sehr Guts" vergeben werden, ist verantwortungslos. Die hohen Studienabbrecherzahlen sagen viel darüber aus, wieviele der Abiturienten gar nicht "hochschulreif" sind.

Überfordert

Natürlich muß das Umdenken schon weit vor der Oberstufe ansetzen. Warum müssen eigentlich immer mehr Schüler ans Gymnasium gehen, warum verkommen die Hauptschulen immer mehr zu Restschulen? Es muß einfach wieder anerkannt werden, daß es Kinder mit mehr praktischen und andere mit mehr intellektuellen Fähigkeiten gibt. Und beide Gruppen benötigen eben unterschiedliche Förderung. Auch die Frage "Gymnasium oder Hauptschule" gibt keine Auskunft über die menschlichen Qualitäten. Lehrer, die den Eltern vormachen, ihrer Kinder seien alles kleine Einsteins oder Goethes, sind mitschuldig an der Überforderung, unter der viele Schüler leiden.
Abgesehen davon, daß die Studentenflut angesichts der Haushaltslöcher kaum vernünftig bewältigt werden kann, ergeben sich auch volkswirtschaftliche Probleme daraus. Der Bedarf der Wirtschaft an Hochschulabsolventen ist wesentlich niedriger als die Zahl der Studenten. Wie kann eine Wirtschaft funktionieren, in der es mehr "Häuptlinge" gibt als "Indianer"? Und auch die Frage nach der künftigen Finanzierung des Renten- und Gesundheitssystems würde sich anders stellen, wenn der Anteil derer wieder steigen würde, die mit sechzehn oder siebzehn Jahren beginnen, in die entsprechenden Kassen einzuzahlen. Ein Berufseinstieg nach dem Studium findet etwa zehn Jahre später statt. Das sind bei einer Lebensarbeitszeit von fünfzig Jahren glatte 20 Prozent!

M.W.