Politik

Wolfgang Schäuble:

Der Nachfolger

Wenn man es sich genau überlegt, ist es gar nicht so einfach, als Bundeskanzler in Deutschland zurückzutreten und einem Nachfolger aus der eigenen Partei das Feld zu überlassen. Historisch gesehen ist bisher sogar jeder Kanzler dieses Staates unfreiwillig zurückgetreten.
Adenauer (CDU) wurde nach der Bundestagswahl 1961 von der FDP gezwungen, sein Rücktrittsdatum auf 1963 zu legen. (Da war er gerade mal 87!) Seine Versuche, den von ihm ungeliebten Ludwig Erhard (CDU) als Nachfolger zu verhindern, scheiterten.
Später sah man, daß er wieder einmal recht gehabt hatte, und Erhard fiel 1966 einer Palastrevolte zum Opfer. Die Große Koalition unter Kiesinger (CDU) folgte.
Kiesinger mußte 1969 nach der Bundestagswahl in die Opposition, weil SPD und FDP koalierten. Brandt (SPD) trat nach der Spionageaffäre Guilleaume zurück. Schmidt (SPD) wurde durch ein konstruktives Mißtrauensvotum gestürzt, als die FDP zur Union schwenkte.
Und Kohl? Sollte es ihm etwa als erstem gelingen, nicht nur den Zeitpunkt seines Rückzuges selbst zu bestimmen, sondern sogar seinen Nachfolger?

Es liegt bei den Wählern

Die nächste Bundestagswahl wird Antwort auf diese Frage geben. Sollten SPD und Grüne die Wahl gewinnen, wäre dies allerdings auch ein Novum: Zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik gäbe es einen Machtwechsel, der direkt aus einem Wahlergebnis resultierte.
Kohls Votum für Wolfgang Schäuble ist aber weniger ein Versuch, Geschichte zu machen, als ein geschickter taktischer Schachzug. Schäuble ist der zur Zeit populärste deutsche Politiker. Und das, obwohl er als eine Art "innenpolitischer Nebenkanzler" wie kaum ein anderer außer Kohl die Regierungspolitik bestimmt.

Schäuble: Die Alternative

Schäuble hat viel präzisere Vorstellungen als Kohl, was in Deutschland geändert werden müßte. Die CDU hat er spätestens seit der fulminanten Leipziger Rede hinter sich. Wichtig ist auch, daß er denjenigen möglichen Unions-Wählern, die Kohl inzwischen gründlich leid sind, eine Alternative bietet.
Natürlich darf Kohl jetzt keinen Zeitpunkt für einen Rücktritt nennen. Die Opposition würde ihn als "lahme Ente" titulieren, und auch der Disziplin in der Union täte das nicht gut. Aus Kohls Sicht wäre ein Wahlsieg 1998 und ein irgendwann danach ganz überraschend erfolgender Rücktritt vermutlich die beste Lösung.
Aber auch in diesem günstigen Fall ginge es nicht ohne Komplikationen ab: FDP und CSU würde neue Koalitionsverhandlungen fordern, um ihre Position zu stärken.
Egal. Wichtig ist: Wolfgang Schäuble hat in weit höherem Maße als die SPD-Kandidaten Schröder und Lafontaine das Zeug zum Kanzler. Ein "Krüppel" (Schäuble über Schäuble) ist zum Hoffnungsträger nicht nur der Union geworden.