Editorial

Einjähriges

Die neuen Ladenöffnungszeiten setzen sich durch

In seinem Bericht vor dem im Oktober stattgefundenen CDU-Bundesparteitag in Leipzig merkte der Fraktionsvorsitzender im Bundestag, Wolfgang Schäuble, an, daß die Ausdehnung des Ladenschlusses im vergangenen Jahr die Republik "fast an den Rand des Bürgerkrieges" geführt hätte.
Zur Erinnerung: Mit dem 1. November 1996 wurden die gesetzlich vorgeschriebenen Ladenöffnungszeiten dergestalt gelockert, daß Geschäfte seitdem ihre Waren wochentags bis 20.00 Uhr und samstags bis 16.00 Uhr anbieten können. Wobei es im Ermessen der jeweiligen Geschäftsleute liegt, inwieweit sie von dieser Regelung auch Gebrauch machen.
Wohlgemerkt: Es handelt sich nur um eine Liberalisierung der Öffnungszeiten und eben nicht um eine generelle Freigabe, wie die Gegner der neuen Regelung gerne glauben machen wollen. Eine völlige Freigabe würde das Ende des Ladenschlußgesetzes bedeuten, aber davon scheint die bundesrepublikanische Gesellschaft momentan noch Lichtjahre entfernt zu sein.
Statt dessen legte die Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen (HBV) lieber wieder einmal ihr Veto ein, um zu erreichen, daß die Läden in der Wiesdorfer City an dem Samstag vor dem zweiten verkaufsoffenen Sonntag in Leverkusen, dem 12. Oktober 1997, auch ja bereits um 14.00 Uhr statt um 16.00 Uhr schließen - wenn man schon nicht verhindern kann, daß aufgrund einer seltenen Ausnahmegenehmigung die Geschäfte ihre Pforten mal an einem Sonntag öffnen durften.

Begeisterung über Sonntagsumsatz

Dennoch, die Vorsitzende der City-Werbegemeinschaft, Sabine Wirz-Springe, konnte ihre Begeisterung angesichts des Erfolges und der erzielten Umsätze kaum in Worte fassen. Tatsächlich ging an diesem verkaufsoffenen Sonntag in der Wiesdorfer Innenstadt nichts mehr, von freien Parkplätzen einmal ganz zu schweigen. Die Kunden stimmten mit den Füßen ab. Dabei ist es gerade der Einzelhandel, der wie keine andere Branche an der derzeitigen mauen Konjunktur und der Zurückhaltung der Verbraucher zu leiden hat.
Letztes spektakuläres Beispiel ist hier die Schließung der örtlichen Dyckhoff-Filiale, die dem Konkurs der gesamten Ladenkette zum Opfer fiel. Bis zum heutigen Tag erinnern daran noch die Reihen nackter Schaufensterpuppen, die den flüchtig dahinhuschenden Einkäufer in der City aus dem ansonsten leeren, riesigen Ladenlokal stumm anstarren. Eine gewisse Symbolik kann man dieser Szene nicht absprechen. Wen wundert also, wenn die Geschäfte in Wiesdorf diesen einen Sonntag währenden Konjunkturschub nur zu gerne "mitnehmen"?
Den Beschäftigten im Einzelhandel müßte bei entsprechender Motivation ihr Beruf an jenem Tag auch eine gewisse Zufriedenheit beschert haben, wenngleich sie auch einer besonderen Belastung ausgesetzt waren. Ein solcher Tag zieht überdies auch Kunden aus einem Einzugsbereich an, der weit über das Leverkusener Stadtgebiet hinausgeht.

Dienstleistungsgesellschaft

Deutschland befindet sich auf dem Weg in die Dienstleistungsgesellschaft, und ähnlich wie sich in der Gastronomie der Trend von der reinen Nahrungsaufnahme immer mehr hin zu Erlebnisgastronomie entwickelt hat, verhält es sich auch mit dem Einkauf. Ganz nüchtern gesehen dient er zwar immer noch der Deckung des täglichen Bedarfs, entwickelt sich faktisch aber bereits in eine ganz andere Richtung.
Nicht umsonst haben sich die Innenstädte selbst kleinerer Kommunen von den Ladenzeilen hin über die Fußgängerzone bis zum überdachten Shopping-Center gemausert. Wer hier nicht mitzog, der verlor seine Kunden an die Märkte auf der grünen Wiese vor den Toren der Stadt, wenn nicht gleich sogar an das nächste Mittel- oder Oberzentrum. Einkaufen ist längst schon Freizeitgestaltung, zudem dreht der Verbraucher seine Mark lieber zweimal um und vergleicht, eben auch zwischen den Einkaufsstandorten.
Wenn allein durch die Überdachung und Verglasung der beiden Wiesdorfer City-Abschnitte in den vergangenen Jahren Millionenbeträge investiert wurden, so ist es eigentlich kaum einzusehen, derart attraktive Bereiche über die Wochenenden und Abendstunden brachliegen zu lassen. Es drängt sich der Vergleich mit den Maschinenlaufzeiten auf.

Ladenschlußgesetz abschaffen

Dabei soll hier dem Einkauf rund um die Uhr, wie er an großen Trink- und Rastanlagen ohnehin schon mehr die Regel als die Ausnahme ist, nicht das Wort geredet werden. Dies spielt sich schon ganz von alleine ein, der Markt wird sich durch die Nachfrage regulieren. Als ob in Deutschland nicht schon genug per Gesetz geregelt ist! Wer es partout nicht lassen kann, dem steht ja nächtens notfalls noch das Teleshopping zur Verfügung.
Die Befürworter regulierter Ladenöffnungszeiten führen nur zu gerne die Sonntagsruhe, Kirchgang und Familie für ihre Zwecke ins Feld. Aber gerade aus diesem Lager formieren sich oft die Reihen derer, die sonst keine Gelegenheit auslassen, auf Klerus und althergebrachte Familienstrukturen einzuschlagen, gerade weil ihnen ihre Selbstbestimmung über alles geht.
Ob es uns nun paßt oder nicht, das liberalisierte Ladenschlußgesetz ist ein Erfolg. Was auch das renommierte Institut für Demoskopie Allensbach festgestellt hat: In den neuen Bundesländern befürworten 56%, in den alten Ländern bereits 60% der Bevölkerung eine vollkommene Freigabe der Ladenöffnungszeiten, also den Fall des Ladenschlußgesetzes. Öffnungszeiten bis 20.00 Uhr können auf dem Marsch in die Dienstleistungsgesellschaft nur eine erste Etappe sein.
Besser als Marschieren wäre ein Ritt mit fliegenden Fahnen.