Satire

Eine schrecklich nette Partei

Bonn. Lagezentrum der CDU-Parteizentrale. In der Mitte des Raumes ein riesiger Tisch mit einer Karte der Bundesrepublik, auf der unzählige Fähnchen, Steine in Parteifarben, Pfeile und Butterbrotkrümel zu sehen sind. Am Tisch sitzen Generalsekretär Peter Hintze, Fraktionschef Wolfgang Schäuble, Familienministerin Claudia Nolte, Verteidigungsminister Volker Rühe, Arbeitsminister Norbert Blüm und Forschungsminister Jürgen Rüttgers samt magischer Kristallkugel. Auf einem kleinen Bildtelefon-Display (Aufschrift "München") ist ein Paar buschiger Augenbrauen zu erkennen.

Die Tür fliegt auf. Der Hamburger CDU-Spitzenkandidat Ole von Beust platzt freudestrahlend in die Runde. Ein Bombardement aus Papier- und Kristallkugeln, tieffliegenden Kaffeetassen und Radiergummis empfängt ihn.

von Beust (verschiedene Essensreste von seinem makellosen Jackett kratzend): Nun dankt mir nicht alle auf einmal!

Hintze: Danken? Wofür?

von Beust: Dafür, daß ich fast 9% auf die SPD gutgemacht habe! Daß ich bei steigender Wahlbeteiligung 5,5% zugelegt habe!

Schäuble (kalt): Was erwartest du von uns? Sollen wir dich etwa loben?

von Beust (überrascht): Ja also, ich dachte eigentlich ...

Rühe: Du solltest nicht denken. Das erledigen wir für dich. Du solltest da hochgehen und haushoch verlieren - wie beim letzten Mal.

Hintze: Wir haben auf Bundesebene wirklich alles getan, damit du dir eine historische Niederlage einfängst. Du, nicht die SPD!

Nolte (zum Leser): Hä? In was für einer blöden Geschichte bin ich hier eigentlich?

von Beust (am Boden zerstört): Ich habe fast ein Jahr wie ein Tier geschuftet. Ich habe sogar Babies geküßt -

Rühe (leise zu Hintze): - und wenn sie nicht hingeguckt haben, ihnen die Bonbons geklaut!

von Beust: Nichts hab ich geklaut! Ich habe 20.000 Haushalte abgeklappert in Bezirken, wo sich seit 10 Jahren kein CDU-Mann mehr hineingetraut hat! Ich habe mit den Kindern der Hafenstraßenbesetzer "Autonomer und Bulle" gespielt! Ich habe -

Hintze (klopft ihm tröstend auf die Schulter): Okay, Ole. Der Fehler lag bei uns. Wir haben uns in dir getäuscht.

Rühe: Wir dachten alle, was auch in Spiegel und Stern stand, daß du nämlich ein unsympathisches rechtskonservatives Yuppie-Weichei bist. Offenbar hast du leider einige Qualitäten, die wir bei der langwierigen Suche nach einem möglichst farblosen und unbekannten Kandidaten übersehen hatten.

Nolte (platzt heraus): Aber ich dachte -

Schäuble: Du dachtest, wir seien hier, um Wahlen zu gewinnen. Du dachtest, wenn jemand voller Engagement gegen einen starken SPD-Kandidaten so gut abschneidet wie Ole, dann ist ist das eine tolle Sache, gut für die Partei. Nicht wahr?

Nolte (verunsichert): Äh - ja!

von Beust: Ich eigentlich auch!

Rüttgers (zu Schäuble): Wolfgang, ich glaube, wir sollten die beiden ein bißchen mit den Grundzügen politischer Strategie und Taktik bekanntmachen.

Schäuble: Dann paßt mal schön auf. So wie ihr euch das vorstellt, war es vielleicht früher einmal: Man kämpft, argumentiert, arbeitet und versucht zu überzeugen. Theoretisch ist dies gar nicht falsch. Praktisch ist es verheerend. Denn: Nur eine Wahl ist wirklich wichtig: Die Bundestagswahl. Nur sie muß gewonnen werden.

von Beust: Na ja ...

Schäuble: Es kommt nicht darauf an, 3 Jahre und 11 Monate die Meinungsumfragen anzuführen, nur um dann von irgend einem dahergelaufenen Sozi den Dolch in Rücken geschoben zu bekommen.

Nolte: Ich beginne zu verstehen ...

Rühe: Genau. Da wir nicht sichergehen können, daß wir die längste Zeit bei der Bevölkerung beliebt sind, konzentrieren wir uns ausschließlich darauf, an einem einzigen Tag populärer zu sein als SPD, Grüne und PDS: Am Wahltag.

Hintze: Und da man Unbeliebtheit viel besser steuern kann als Beliebtheit, manövrieren wir uns spätestens ein Jahr vor der Wahl in den Keller, um dann alle Kräfte zu vereinigen und wie Phönix aus der Asche an allen vorbeizuziehen.

Schäuble: Der größte Coup ist uns damals, 1989, gelungen. Zuerst hat Helmut Heiner Geißler gefeuert, die Wirtschaft gedrosselt und dann in den letzten Monaten die DDR in den Ruin getrieben, um dann dank der Wiedervereinigung die Wahl haushoch zu gewinnen.

von Beust (sprachlos)

Nolte: Und was war 1994?

Hintze: Da hatte uns die SPD durchschaut. Sie versuchte ebenfalls ein Jahr vor der Wahl, sich möglichst weit ins Abseits zu manövrieren. Gleichzeitig stellten sie Rudolf Scharping auf, diesen fahrradfahrenden Langweiler, den niemand ernstnahm. Wir kamen Ende 93 nur mit Mühe unter 35% in den Umfragen. Beinahe wäre das ganze dann bei der Wahl schiefgegangen.

Schäuble (verärgert zu von Beust): Kapierst du jetzt, warum Voscherau freiwillig das Wahlkampfthema gewählt hat, bei dem er am schlechtesten aussah? Kapierst du jetzt, warum Schröder die CSU neuerdings rechts überholt?

(Anerkennendes Augenbrauenrascheln von Theo Waigel)

von Beust: Mit anderen Worten: Ich habe die Wahl kläglich verloren, weil ich so gut abgeschnitten habe.

Hintze: Richtig. Glaubst du, es ist einfach, den Eindruck zu erwecken, wir seien ein Haufen entlaufener Irrer, die nichts lieber tun, als sich gegenseitig in die Pfanne zu hauen? Da steckt viel liebevolle Arbeit hinter! Ganze Stäbe sind nur damit beschäftigt, geeignete Schimpfwörter zu erfinden! Glaubst du, es macht uns Spaß, die FDP am Leben zu erhalten, um den Wählern klarzumachen, daß es immer noch schlimmer kommen kann?

Blüm: Glaubst du, es macht Spaß, immer diesen öffentlichen Streit bis ins kleinste zu inszenieren?

Hintze: Eigentlich müßtest du doch wissen, daß es hier im Adenauer-Haus eine ganze Abteilung gibt, die einzig und allein mit der Bekämpfung unserer Beliebtheit beschäftigt ist. Oder glaubst du, daß wir ohne Grund Richie Weizsäcker kurz vor deiner Wahl aus der Partei geworfen und danach wieder reingeholt haben?

Nolte (wird vom Telefon unterbrochen)

Hintze (nimmt den Hörer ab): Hallo, Boß - (schielt auf von Beust) Nein, der ist - äh - nicht hier ... Ich weiß auch nicht, wo du ihn finden kannst ...an die Gurgel? Aber Helmut ... ja ... ja ... nein ... Aber Helmut, das kriegen wir schon wieder in den Griff ... (legt schweißüberströmt auf, zu von Beust) Du solltest ihm besser heute nicht begegnen. Gerade sind die neuen Umfragen gekommen.

Hintze: Allerdings. Der Kanzler ist sauer. Er hat gesagt, wenn uns nicht innerhalb der nächsten vierzehn Tage ein beispielloser Popularitätseinbruch gelingt, könnten wir die Bundestagswahl gleich vergessen. (Verlegen) In diesem Fall will er sich außerdem einen neuen Generalsekretär suchen.

(Anerkennendes Augenbrauenrascheln von Theo Waigel)

Blüm: Dann müssen wir mit einem Kombipaket für Notfälle gegensteuern. Ich bin gern bereit, die vierte Stufe der Gesundheitsreform einzuläuten.

Rüttgers (grunzt befriedigt): Das kommt gut: Die Wähler werden entsetzt sein. Ich könnte verbreiten, daß die Pannen der Raumstation Mir entweder den deutschen Steuerzahler aufgrund eines schlecht ausgehandelten Vertrages zusätzliche 500 Millionen Piepen kosten oder - falls das nicht ankommt - daß deutsche Technik daran schuld ist.

Rühe: Ich könnte der Presse stecken, daß der Eurofighter nicht 20 Millionen DM, sondern 20 Millionen Euro teurer wird.

Hintze: Das erwarten die Wähler sowieso. (Überlegt) Ich hab's! Du könntest durchsickern lassen, daß du anstelle von Helmut Bundeskanzler werden willst.

Rühe: Das kauft mir keiner ab.

Schäuble: Egal. Hauptsache, es bringt Unruhe in die Regierung und kostet uns einen oder zwei Prozentpunkte!

Nolte (inzwischen begeistert): Ich könnte unsere konservativen Stammwähler durch eine unappetitliche und alles an Geschmacklosigkeit übertreffende Anti-Aids-Kampagne verprellen!

Hintze: Das bringt uns aber gleichzeitig bei den Linken und Progressiven Stimmen. Möglicherweise könnten wir sogar zulegen!

von Beust (will seinen Fehler wiedergutmachen): Ich könnte Helmut Kohl öffentlich Führungsschwäche und Arroganz vorwerfen.

Hintze: Hm, nicht schlecht, aber nachher beschwert sich Biedenkopf -

Schäuble (liebevoll): Unser unbezahlbarer kleiner Professor!

Hintze: -, daß du ihm die Rolle als wichtigster parteiinterner Stänkerer streitig machst. Wie wäre es mit einem richtig saftigen Skandal? Seit Barschel bringt ihr dort oben nichts mehr zustande ...

Hier verlassen wir die illustre Runde in dem Bewußtsein, daß die Geschicke des Volkes und der Partei in bewährten und professionellen Händen liegen und daß der geneigte Leser sicherlich dasselbe denkt wie wir: Das Ganze hört sich nicht nur blöd an, das ist blöd!

G.D./MiWi