Politik

Die Kraft der kleinen Taten

Zum Tode von Mutter Teresa

"Ist es nicht besser, einigen Kindern, einigen Kranken, einigen Hungernden zu helfen, als auch diese wenigen ihrem Schicksal zu überlassen?" Mutter Teresa war keine Revolutionärin, die politische Umstürze bewirken wollte, sondern eine konsequente Anhängerin von Jesus Christus.
Die Ordensfrau mit dem bürgerlichen Namen Agnes Gonxa Bejaxhiu wurde am 26. August 1910 in Skopje als Kind albanischer Eltern geboren. Bereits im Alter von zwölf Jahren stand ihr Berufswunsch "Missionarin" fest. So schloß sie sich dann mit achtzehn den irischen Loreto-Schwestern an und kam wenig später ins indische Kalkutta. Sie war dort zunächst als Lehrerin und später Direktorin an einer vornehmen Mädchenschule tätig, doch bald widmete sie sich dem Dienst an den Hungernden und Sterbenden in den Elendsvierteln der Stadt.

Ganz unten

Auf ihr eigenes Drängen hin erteilte ihr Papst Pius XII. 1948 die Genehmigung, außerhalb der Klostermauern in den Slums leben und arbeiten zu dürfen. Ganz solidarisch mit ihren Schützlingen legte sie den Habit der Loreto-Schwestern ab und kleidete sich mit dem weiß-blauen Sari, der traditionellen Kleidung der niedrigsten Kaste in Bengalen. Eben dieses Gewand übernahm der 1950 von ihr gegründete Orden "Missionarinnen der Nächstenliebe" als Tracht.
Der Ordensname war für ihr weiteres Leben das Motto schlechthin. In jedem Armen sah sie Christus und handelte nach dem Grundsatz: "Was ihr dem geringsten meiner Brüder getan habt, das habt ihr mir getan." Dazu suchte sie bewußt diejenigen auf, die buchstäblich nichts mehr hatten als das nackte Leben. Sie eröffnete 1952 in Kalkutta das erste Sterbehaus. Kein Krankenhaus, sondern lediglich eine Stätte, wo den Armen ein menschenwürdiges Sterben ermöglicht werden sollte. Das Projekt in einem ehemaligen hinduistischen Pilgerheim erregte zunächst Skepsis und Widerstand bei der Hindu-Bevölkerung, die einen christlichen Missionsversuch befürchtete. Dieser legte sich jedoch bald, als sich zeigte, daß Maria Teresa (wie sie inzwischen hieß) auch kranke Hindus ohne jede Vorbedingung aufnahm.

Orden im Aufwind

Seither ist die Kongregation der Missionarinnen der Nächstenliebe stark gewachsen und hat heute im Gegensatz zu vielen großen Ordensgemeinschaften keine Nachwuchssorgen. Fast 4000 Schwestern (und 500 Brüder in einem anderen Zweig der Kongregation) arbeiten heute in 600 Niederlassungen in 122 Ländern. Nicht nur Sterbende, auch verlassene Kinder, Leprakranke, Drogensüchtige und Aidskranke werden von ihnen betreut. In Deutschland gibt es Niederlassungen in Essen, Berlin, Chemnitz, Hamburg, München und Mannheim.
Mutter Teresas Akzeptanz und Verehrung bei Hindus, Moslems und Christen verbreite sich von Indien aus über die ganze Welt. Sie wurde mit Preisen und Auszeichnungen überhäuft: Ehrenstaatsbürgerschaft in den USA, Ehrendoktorwürden an zahlreichen Universitäten und wohl als Krönung ihres Lebenswerks 1979 der Friedensnobelpreis. Obwohl sie überall, wo sie auftrat, im Mittelpunkt stand, verlor sie ihre Bescheidenheit nicht.

Nicht unumstritten...

Mitten im Kalten Krieg konnte sie Häuser in der Sowjetunion, in China, Äthiopien und Vietnam gründen. Daß sie selbst bei den dort Mächtigen Gehör für ihre Anliegen fand, lag daran, daß sie sich strikt aus der Politik heraushielt. Ihre Aufgabe sah sie darin, die Menschen anzunehmen, den Verlassenen das Gefühl zu geben, zu einer Gemeinschaft zu gehören. Das brachte ihr den Vorwurf ein, nur die Symptome, aber nicht die Ursachen zu kurieren. Doch sie sah die Bekämpfung von struktureller Ungerechtigkeit in der Welt als Aufgabe für Politik und Entwicklungshilfe an: "Ich bin Ordensschwester, keine Sozialarbeiterin." Auf die Frage, warum sie eigentlich Fische verteile und keine Angelruten, antwortete sie: "Die meisten meiner Schützlinge sind so schwach, daß sie nicht einmal eine Angelrute halten können."

...aber akzeptiert

Ebenso wurde ihr im überbevölkerten Indien oft ihre Einstellung zu Abtreibung und künstlicher Empfängnisverhütung zum Vorwurf gemacht, wo sie loyal hinter Rom stand. Andererseits wird es gerade ihr konsequenter und unbeirrbarer Glaube gewesen sein, der sie weltweit zum Vorbild für die Jugend vor Pop- und Sportidolen machte.
Ohne Wenn und Aber lebte sie nach dem, wozu sie sich bekannte. Selbst ihre eigene Gesundheit schonte sie nicht. Nach zwei Herzinfarkten bekam sie 1989 einen Schrittmacher. Auch von Malaria bliebt sie nicht verschont. Ihr Wunsch, als sie im November letzten Jahres nach einem weiteren schweren Herzanfall in eine Klinik eingeliefert wurde, war: "Laßt mich einfach sterben wie diejenigen, denen ich diene!" Auf Drängen der Ärzte ließ sie sich dann doch noch einmal behandeln. Am 5. September 1997 starb sie 87jährig.

M.W.