Politik

Polit-Splitter

Ausgezeichnet

Fast ist sie schon wieder vergessen, aus den Schlagzeilen verschwunden: Die sogenannte Jahrhundertflut, die im Juli und August dieses Jahres eine Gegend in den Mittelpunkt des Geschehens rückte, die sonst, entlang der Oder im äußersten Osten des Bundeslandes Brandenburg gelegen, kaum Beachtung findet. Das Land Brandenburg bedankte sich bei einem Teil der zahlreichen freiwilligen Helfer unter anderem mit einer Veranstaltung in Frankfurt an der Oder.
Bei dieser Gelegenheit verlieh Brandenburgs Ministerpräsident Stolpe die von ihm gestiftete Oderflut-Medaille, zu tragen an einem rot-weißen Band an der linken oberen Brustseite. Genauestens geregelt durch Erlaß des Brandenburgischen Ministerpräsidenten.
Stolpe weiß, wovon er spricht. In Sachen Ordensverleihung kann er getrost als Experte bezeichnet werden. Schließlich bekam er diesmal nicht nur selbst einen hohen polnischen Orden für seine Verdienste als Ministerpräsident während des Hochwassers verliehen, sondern wurde noch zu Zeiten der DDR vom Ministerium für Staatssicherheit als Ordensträger für würdig erachtet. Was Stolpe als solches auch nicht in Abrede stellt, sich jedoch beim besten Willen nicht daran erinnern kann, durch welche Person ihm seinerzeit die gewisse Verdienst-Medaille ausgehändigt wurde.
Bleibt nur zu hoffen, daß von denjenigen der rund 50.000 Helfer, die tatsächlich mit der Oderflut-Medaille geehrt werden, sich die überwiegende Zahl auch dereinst noch daran erinnern kann, wer ihnen denn letztendlich diesen Orden an die Brust geheftet hat.

 

Deep Blue: Rücktritt

Im Mai dieses Jahres wurde, jedenfalls nach Meinung einiger überspannter Kommentatoren, das endgültige Ende der geistigen Dominanz der Menschheit auf der Erde eingeläutet. Der 3,5:2,5-Sieg des Schachcomputers "Deep Blue" über den Weltmeister der Profis und anerkannt besten Schachspieler der Welt, Garry Kasparow, erschütterte all jene, die glaubten, daß menschliche Intelligenz und Kreativität jederzeit einer tumben Rechenmaschine, und sei sie auch noch so leistungsfähig, überlegen seien. Der Mensch hatte scheinbar seine letzte Bastion räumen müssen.
Natürlich war das alles Unfug. "Deep Blue" ist immerhin ein zu 100% von Menschen erfundenes Gerät. Letztlich war es ein Duell eines Ingenieurteams gegen Kasparow. Deep Blue revanchierte sich im übrigen nur für eine früher gegen Kasparow erlittene Niederlage. Daß täglich Millionen von Menschen am PC gegen weit weniger talentierte Schachprogramme als Deep Blue regelmäßig ihr Waterloo erleben, sei nur der Vollständigkeit halber erwähnt.
Von den beiden ungleichen Kontrahenten hat überraschenderweise nun ausgerechnet Deep Blue als erster die Segel gestrichen. IBM hat das Projekt eingestellt. Besonders Garry Kasparow tobt natürlich. Schließlich hatte er ziemlich unglücklich verloren - Beobachter hatten dem Weltmeister eine ungewöhnlich schwache Leistung attestiert - und brannte auf (auch finanziell lohnende) Revanche.
Eingeweihte kann das Verhalten von Deep Blue jedoch nicht überraschen. Immerhin ist er Amerikaner. Jeder Schachfreund kennt die Geschichte seines genialen (menschlichen) Landsmannes Bobby Fischer, der 1975, nachdem er die jahrzehntelange Dominanz der Russen im Schach gebrochen hatte, auf dem Höhepunkt des Ruhms zurücktrat. Offenbar hat man Deep Blue nicht nur die Feinheiten der Sizilianischen Verteidigung und des Zuckertort-Réti-Systems beigebogen, sondern auch das richtige Timing für spektakuläre Rücktritte.
Kasparow wird damit leben müssen, daß er - wie Fischers Nachfolger Anatoli Karpow - nicht mehr allgemein als bester Schachspieler der Welt angesehen wird. Das dürfte den Meister wohl mehr schmerzen als entgangene Preisgelder.

G.D.