Editorial

Auslaufmodell

Der lange Abschied des Johannes S.

Die Bundestagswahl 1998 wirft ihre Schatten voraus. Nicht nur im öffentlichen Schlagabtausch zwischen den in Bonn vertretenen Parteien wird dies deutlich, sondern auch vor Ort. Überall laufen die Personaldiskussionen auf Hochtouren, werden Kandidaten gekürt und aufgestellt.
So auch in Leverkusen, wo in den beiden großen Parteien unmittelbar nach Beendigung der Sommerpause das Auskegeln der christ- bzw. sozialdemokratischen Bewerber um das Mandat im Bundestagswahlkreis 68 im vollen Gange ist. Inwieweit bei künftigen Bundestagswahlen die Leverkusener Lokalmatadoren überhaupt noch ein Wörtchen mitzureden haben, wird sich dann im Vorfeld der Bundestagswahl 2002 erweisen.
Denn der Wahlkreis 68 in seiner jetzigen Zusammensetzung aus Leverkusen und den angrenzenden kreisangehörenden Städten Leichlingen und Burscheid wird dann Geschichte sein. Ein Wahlkreiszuschnitt aus Leverkusen und dem rechtsrheinischen Köln erscheint derzeit als die wahrscheinlichste aller möglichen Lösungen. Gegen die mächtigen Kölner Parteien dürften sich bei anstehenden Personalentscheidungen die verhältnismäßig kleinen Leverkusener CDU-Kreis- bzw. SPD-Unterbezirksverbände nur noch schwer intern durchsetzen können.

SPD: Öffentlicher Streit

Dennoch bleibt uns in diesem Jahr das Ritual der Aufstellung von Kandidaten noch vergönnt. Bei der CDU haben bisher der Ratsherr Bernhard Marewski und der Unternehmer Helmut Nowak ihre Hüte in den Ring geworfen. Doch während hier die Diskussion weitgehend hinter den Kulissen geführt wird, ist sie bei den Sozialdemokraten durch den Verzicht des amtierenden direkt gewählten Bundestagsabgeordneten Johannes Singer an die Öffentlichkeit getragen worden.
Entgegen zuvor anderslautenden Äußerungen hat sich Singer nunmehr selbst zum Auslaufmodell erklärt und ist als erster möglicher und erneuter Bewerber ausgeschieden. Nun, für eine komfortable und auskömmliche Altersversorgung langen drei Legislaturperioden Bundestag durchaus, da hat man quasi "die Rente durch".
Abgesehen davon, daß Singer im Richterwahlausschuß des Bundestages sitzt und die Funktion des drogenpolitischen Sprechers der Fraktion bekleidet, fiel sein Gesicht in Bonn nicht weiter auf. Er versteckte es während der Debatten im Parlament sowieso meist hinter der Tagespresse, wie er es zuweilen ebenso gern in Ausübung seines Mandates im Rat der Stadt Leverkusen zu tun pflegt.

Weltniveau bei Weltreisen

Aber MdB Singer reiste kraft seines Amtes auch gern in der Welt herum, wobei sein Trip ins Spielerparadies Las Vegas (mit einigen anderen Kollegen aus anderen Parteien) ihm nicht nur erstmals in seinem Leben die volle Aufmerksamkeit der "Bild"-Zeitung sicherte, sondern auch seine Popularität jäh abstürzen ließ.
Glaubt man seinen eigenen Worten, daß "der Reiz der neuen Aufgabe inzwischen abgeklungen" ist, erscheint es natürlich nur zu verständlich, sich anderweitig Kurzweil zu verschaffen. Trotz manch anstrengender Fernreise möchte Singer freilich aus gesundheitlichen Gründen seinem angestammten Beruf, der aufreibenden Tätigkeit eines Oberstaatsanwaltes, nicht mehr nachgehen. (Obwohl bei dessen Ausübung eventuelle Dienstreisen auf die Region beschränkt bleiben dürften.)
Dennoch reicht seine Kraft offensichtlich noch aus, weiterhin ein Ratsmandat in den Niederungen der Leverkusener Kommunalpolitik auszufüllen.

Kein Gnadenbrot

Ein Schelm, der dies als Gnadenbrot für einen verdienten Genossen ansieht, kann doch die Kommunalpolitik von dem reichhaltigen Erfahrungsschatz des Herrn Singer nur Honig saugen. Innerhalb der SPD-Fraktion wäre Singer außerdem nicht der einzige, der sich als Frührentner auf diese Weise in den Dienst der Allgemeinheit stellt. (Vielleicht hat er ja auch den Ehrgeiz, seinen Rheindorfer Wahlkreis dem Bürgerlisten-Chef E.T. Schoofs wieder zu entwinden, um eine der blamabelsten SPD-Niederlagen der letzten Jahrzehnte auszubügeln.)
Allzusehr an den Haaren herbeigezogen scheint jedoch Singers zentrales Argument für seinen Abschied aus der Bundespolitik: Der bevorstehende Regierungsumzug nach Berlin im Jahr 2000. Auch wenn er persönlich stets gegen dieses Umzug gewesen sein mag - die Umzugsentscheidung selbst ist mittlerweile alles andere als neu, und im Kofferpacken dürfte kaum einer geübter sein als Johannes Singer selbst. Seine mögliche Bewerbung um den Vorsitz des SPD-Unterbezirks dürfte hingegen eine Retourkutsche für den Genossen Küchler darstellen, der schon vor Singers Verzicht mit einer Bewerbung für den Bundestag liebäugelte. Denn auch innerparteilich stellt Singer nunmehr ein Auslaufmodell dar.