Satire

Außenpolitik mit Bauchschmerzen

Bonn. Auswärtiges Amt. Hinter 22 verschiedenen Telefonen kann man Außenminister Kinkel nur schwer erkennen. Ebenfalls eingefunden haben sich Bundeskanzler Helmut Kohl, Finanzminister Theo Waigel, Verteidigungsminister Volker Rühe und - aus Gründen, die keiner mehr nachvollziehen kann - Familienministerin Claudia Nolte und Arbeitsminister Norbert Blüm.

Kohl: Wo brennt's denn jetzt schon wieder, Klaus? Wir waren gerade in einer wirklich wichtigen Sitzung, deren Folgen die Welt verändern werden.

Kinkel (alarmiert): Ja was denn? Wollt ihr Rußland Königsberg abkaufen oder Mallorca als 17. Bundesland aufnehmen, wie ich eben in der Bild-Zeitung lesen mußte?

Waigel: Es ging um die Kabinettsumbildung!

Kinkel: Was? Und da war ich nicht dabei? (Vergißt seine dauernd klingelnden Telefone) Ich darf doch davon ausgehen, daß der Außenminister auch weiterhin seinen Posten behält!

Rühe: So weit waren wir noch nicht. Wir sind erst die wichtigen Ressorts durchgegangen. Aber wo du es gerade sagst: Man könnte doch, um Geld zu sparen (anerkennendes Augenbrauenrascheln von Waigel) das Außenministerium in das Verteidigungsministerium eingliedern...

Kinkel (in Panik): Helmut ... das geht doch nicht! Wir haben zur Zeit nur 4% - ... nächste Bundestagswahl ... volle Pensionsberechtigung ... -

Kohl: Nur die Rühe, äh, Ruhe. Du behältst deinen Job. Aber was war denn jetzt so wichtig, daß wir so schnell rüberkommen mußten?

Kinkel (deutet auf ein Telefon mit der Aufschrift "Standleitung London"): Tony Blair hat angefragt, warum er denn um alles in der Welt seinen Botschafter nicht wieder zurück in den Iran schicken soll.

Nolte: Ja, in der Tat. Warum nicht?

Giftige Blicke aller Anwesenden treffen sie.

Nolte: Was ist denn jetzt schon wieder los? Ich dachte, wir hätten uns beim letzten Mal [vgl. Politeia Nr. 170] darauf geeinigt, daß wir uns nicht erpressen lassen. Oder habe ich nicht aufgepaßt?

Rühe: Hier geht's doch nicht um Außenpolitik, sondern um Geld. (Waigels Miene hellt sich auf)

Kinkel: Also doch um Außenpolitik.

Rühe: Das ist doch -

Kohl: Schluß, aus! Was will Tony Blair?

Kinkel: Und Jospin und Aznar und Prodi. Und alle anderen auch. Sogar die Luxemburger. Alle wollen sie ihre Botschafter wieder nach Teheran schicken.

Nolte: Und warum schicken sie nicht?

Kinkel: Wegen der europäischen Solidarität. Der Iran will zwar die 15 EU-Botschafter wieder ins Land lassen -

Blüm: Gottseidank! Denkt nur an die soziale Verantwortung!

Kinkel: -, aber den deutschen Botschafter zuletzt. Das können wir jedoch nicht hinnehmen.

Rühe (reibt Daumen und Zeigefinger aneinander): Und warum nicht?

Kohl: Weil dies eine Diskriminierung Deutschlands wäre. Wir müssen eine andere Lösung finden. (Ihm kommt eine Idee) Sag mal, Klaus, ich hab da kürzlich in einem Geheimdienstbericht gelesen, daß es einen neue iranische Regierung gibt.

Kinkel: Das stand auch schon in der Zeitung, aber da warst du gerade am Wolfgangsee, um dich über Theos Kabinettspläne zu ärgern.

Kohl: Egal. Vielleicht läßt sich mit diesen Leuten ja besser auskommen.

Waigel: Und bessere Geschäfte machen.

Blüm: Genau! Denkt an die vielen deutschen Arbeitslosen!

Nolte: Aber das ist doch .... ekelhaft inkonsequent und doppelzüngig - au!

Blüm (tritt ihr unterm Tisch vors Schienbein): Du hast gut reden! Solche Prinzipienfestigkeit muß dann zum Schluß aus meinem Etat bezahlt werden.

Kohl (beschwichtigend): Still, Kinder, ihr habt ja beide recht. Politik ist die Kunst, wie mein verstorbener Freund Francois Mitterrand öfters sagte, immer zwei sich ausschließende Dinge gleichzeitig zu tun.

Nolte (mehr zu sich selbst): Wie Theo Waigel und gesunde Finanzen oder Lafontaine und integere Politik?

Kohl: Genau. Wir müssen darauf dringen, daß der deutsche gleichzeitig mit den anderen europäischen Botschaftern wieder nach Teheran kommt, ohne daß die Iraner diese Gleichzeitigkeit bemerken. Oder der deutsche Botschafter kommt tatsächlich als letzter, ohne daß die anderen 14 vor ihm eintreffen.

Alle: Häää?

Nolte: Weswegen haben wir den Botschafter eigentlich abgezogen, wenn wir ihn jetzt wieder hinschicken?

Rühe (abwinkend): Ach, da war so eine Wirtshausschießerei in Berlin, ein paar tote Perser und ein paar übermotivierte deutsche Richter, die partout behaupteten, der iranische Geheimdienst hätte geschossen.

Nolte: Hat er?

Rühe: Klar hat er. Nur er.

Kinkel: Leute, laßt das Gefasel. Dafür ist sonntags Zeit. Ich brauche Lösungen, und zwar schnell.

Kohl: Also, alle 15 Botschafter starten gleichzeitig nach Teheran. Wie können wir es anstellen, daß unser Botschafter als letzter ankommt, ohne daß die Öffentlichkeit Lunte riecht?

Nolte: Maschinenschaden.

Rühe: Das glaubt uns keiner. Rita ist schließlich immer pünktlich angekommen!

Waigel: Nebel.

Kinkel: Zu abgegriffen. Wir sind schließlich nicht in London. Außerdem: Seit wann kann der Wetterdienst das Wetter vorhersagen?

Kohl: Wie wär's mit einer Flugzeugentführung?

Kinkel: Nette Idee, ist aber seit einigen Jahren aus der Mode und außerdem eine Spezialität der Iraner. Sie würden uns sofort durchschauen.

Blüm: Ich hab's! Ein Fluglotsenstreik!

Rühe: Nein. Zwar sind die Fluglotsen längst privatisiert, aber das Ausland hat das noch nicht mitbekommen. Außerdem müßten wir die ÖTV einweihen.

Waigel (mit hinterlistigem Grinsen zu Kohl): Sag' Hannelore, sie soll ein Lunchpaket für die Airbusbesatzung fertigmachen. Genauso eins, wie du früher mal an Maggie Thatcher geschickt hast, wonach die bilateralen Beziehungen ein neues Nachkriegstief erreichten.

Kohl (beleidigt): Pfälzer Saumagen ist eine Spezialität meiner Heimat und hat bis jetzt noch keinem geschadet (allgemeine Skepsis). Aber die Idee ist grundsätzlich gut - es muß ja nicht unbedingt Saumagen sein ...

Eine Woche später. Die Piloten des Airbus der Flugbereitschaft der Bundeswehr, die den deutschen Botschafter zurück in den Iran fliegen, bemühen sich heftig, die Verspätung wieder aufzuholen, die ihr überraschender Durchfall vor Flugbeginn ausgelöst hatte. Mit Erfolg: Die Maschine landet vor allen anderen EU-Botschaftern in Teheran. Der deutsche Botschafter wird nach kurzer Inhaftierung in einem Volksgefängnis abgeschoben und die diplomatischen Beziehungen abgebrochen. Die deutsche Presse lobt die Bundesregierung, weil sie hart geblieben sei, während die Opposition mäkelt, die Regierung habe durch ein "unbedachtes Manöver", geprägt von "deutschem Größenwahn", die gerade "neu aufkeimenden deutsch-iranischen Beziehungen" zerstört.

G.D./MiWi