Editorial

Diskriminierung

Hat der Iran den Deutschen schon verziehen?

Man erinnere sich: Da begeht der Iran mit Hilfe seines Geheimdienstes Morde auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland. In einem in dieser Art selten deutlichen Gerichtsverfahren, dem Mykonos- Prozeß, werden - dank mutiger deutscher Richter und Staatsanwälte - Roß und Reiter, also die Drahtzieher, genannt, unter anderem der (Ex-)Staatspräsident und das geistliche Oberhaupt des Iran.

Der Knochen der Mullahs

Nach dem Urteil ziehen Deutschland und die anderen Staaten der Europäischen Union mit (gespielter?) Empörung ihre Botschafter aus dem Iran zurück. Einige wenige Monate gehen ins Land. Dann sollen die Botschafter diskret zurückkehren. Doch der Staat mit den Mördern an der Spitze reagiert sensibel (auch Killer haben schließlich ihren Stolz) und weigert sich bis heute, den deutschen Botschafter gleichberechtigt mit den anderen EU-Botschaftern wieder zu empfangen: Er soll als letzter kommen.
Nun bemühen sich deutsche Außenpolitiker aller Couleur einerseits darum, die ungeduldig werdenden europäischen Freunde davon abzuhalten, ihre Botschafter ohne Rücksicht auf die Deutschen wieder in den Iran zu schicken, und andererseits, die (inzwischen in Teilen neu gewählte) iranische Staatsspitze davon abzubringen, Deutschland zu "diskriminieren".
Eigentlich war das ganze doch umgekehrt gedacht. Denn wenn jemand es verdient hätte, diskriminiert zu werden, dann die mörderischen Mullahs. Doch die machen mit ihrer simplen Forderung deutlich, wer in diesem Spiel am längeren Hebel sitzt. Sie halten den Knochen "Diplomatische Beziehungen" (verknüpft mit wirtschaftlichen und politischen Interessen der Europäer) gerade so hoch, daß sich die 15 europäischen Hunde, die nach ihm springen, total lächerlich machen.
Natürlich hat diese europäische Politik durchaus einen realistischen Kern. Der Iran hat 65 Millionen Einwohner. Geopolitisch ist seine Bedeutung enorm - ein Blick auf die Landkarte zeigt dies überdeutlich. Man kann durchaus fragen, ob es vernünftig ist, wie die USA zwar enge Beziehungen zum gleichzeitig feudalistischen und fundamentalistischen saudischen Königshaus zu pflegen, den Iran aber zu ächten.
Aber es ist einfach unmöglich, mit großer Geste den Botschafter abzuziehen und dann später kleinlaut um die Bedingungen seiner Rückkehr zu feilschen - ohne ein Wort des Bedauerns aus iranischem Munde. Unwahrscheinlich, daß Deutschland sein Ansehen so stärken kann.

Diplomatische Lösung

Nun will Kinkel mit dem neuen iranischen Außenminister eine alle Seiten zufriedenstellende Lösung ausklamüsern. Dafür gibt es viele Möglichkeiten. Einige davon haben wir auf Seite 10 ausgelotet. Hauptsache, unser Gesicht wird gewahrt. Und das der Mörder in Teheran.

G.D.

P.S.: Der iranische Mordbefehl gegen den britischen Autor Salman Rushdie, verknüpft mit einem millionenschweren Kopfgeld, ist immer noch in Kraft.