Satire

Pazifik-Trek: Der erste Kontakt

Bonn. Sommerferien. Ein verregneter Abend. Zukunftsminister Jürgen Rüttgers macht Überstunden. Er surft im Internet und betrachtet die letzten Marsfotos der NASA-Sonde Pathfinder. In seinem Blickfeld die allwissende Kristallkugel, seit Politeia 170 auf Anordnung Helmut Kohls auf einem Sockel fest fixiert.

Rüttgers (grummelt): Sie hätten mich ja ruhig mitnehmen können. (Bemerkt gelangweilt einen Dinosaurier, der gerade den Marsrover Sejourner zertritt) Cool! (Sein Blick fällt zufällig auf die magische Kristallkugel) Mein Gott! Das kann doch nicht wahr sein!

18.000 Kilometer entfernt. Pilot und Kopilot des Regierungs-Luftwaffenairbus betreten die Passagierkabine.

Kohl (gut gelaunt): Noch ein Stück Pfälzer Saumagen? (scherzt) Hoffentlich haben Sie den Autopiloten eingestellt!

Pilot: Das ist der Punkt, Herr Bundeskanzler. Der Jet hat keinen Autopiloten. Der Herr Verteidigungsminister meinte, er müsse irgendwo sparen.

Schröder: Ja dann husch, husch zurück ins Cockpit!

Kopilot: Keine Sorge, Herr Ministerpräsident. Herr Rühe wollte schon immer mal am Stuerknüppel eines Airbus sitzen. Er vertritt uns eben mal.

Fünf Minuten später. Bundeskanzler Helmut Kohl, Verteidigungsminister Volker Rühe mit einem herausgerissenen Steuerknüppel in der Hand, FDP-Generalsekretär Guido Westerwelle, Niedersachsens Ministerpräsident Gerhard Schröder, Arbeitsminister Norbert Blüm, CDU-Fraktionschef Wolfgang Schäuble und Grünen-Fraktionschef Josef (Joschka) Fischer sitzen auf einer großen Rettungsinsel, irgendwo in den Weiten des Pazifiks.

Waigel: Wie soll ich das den Steuerzahlern erklären? Sie haben uns gerade noch abgekauft, daß wir in der Pazifik-Region Wirtschaftsförderung für deutsche Produkte betreiben wollen. Und jetzt treiben wir irgendwo zwischen Fidschi und Mikronesien. (Sarkastisch) Ich glaube nicht, Schröder, daß Du hier sehr viele VWs verkaufen wirst.

Schröder: Das ist wirklich unser kleinstes Problem. Stellt euch nur unsere unmögliche Situation vor: Glücklich einem Flugzeugunglück entkommen, und kein Fernsehteam weit und breit!

Alle außer den Piloten nicken trübsinnig.

Wochen später. Die Rettungsinsel wird an eine einsame Insel geschwemmt.

Kohl (der gleichzeitig mit dem prestigebewußten Schröder das unbekannte Land betritt): Wie würde mein Freund Bill sagen? Es ist nicht Arkansas, aber auch nicht schlecht.

Rühe: Und weit und breit keine Menschenseele. Hoffentlich ist die Insel bewohnt.

Westerwelle: Und was tun wir jetzt?

Pilot: Ruhe bewahren! Übersicht verschaffen! Nach allen Seiten sichern! Spähtrupp entsenden!

Der Kopilot macht sich gemeinsam mit Norbert Blüm auf den Weg. Schon nach wenigen Metern hat der Dschungel sie verschluckt ...

Eine Woche später. Der Spähtrupp kehrt zurück.

Kopilot: Verdammt, warum habt ihr denn immer noch keine Hütten gebaut?

Pilot (frustriert): Der Bundeskanzler hat das vorgeschlagen, aber Bundesrat und Opposition (wütender Blick auf Schröder und Fischer) haben die Entscheidung blockiert.

Fischer: So stimmt das nicht! Der Vorschlag dieser Regierung ist für uns unannehmbar. Soll etwa nur wegen des Komforts einiger verwöhnter Europäer der Dschungel hier abgeholzt werden?

Westerwelle: Ein paar popelige Bäumchen nennt der abholzen!

Schröder: Und unser Vorschlag, Erdhöhlen zu graben, ist schließlich genauso abgelehnt worden, obwohl er ...

Schäuble (explodiert): Halt die Schnauze! (Zum Kopiloten) Habt ihr was gefunden?

Kopilot (verlegen): Tja, allerdings. Wir sind vorgeschickt worden.

Blüm: Jedenfalls glauben wir das.

Kohl: Gottseidank, Leben! (Leicht irritiert) Aber warum habt ihr eigentlich die Hände auf dem Rücken gefesselt ... (Schaut über den nächsten Bergrücken, mit belegter Stimme) Ach deswegen.

Wie auf einer Perlenkette aufgereiht stehen dort Hunderte eher spärlich bekleideter Eingeborene.

Rühe (schluckt): Jetzt weiß ich, wie sich Generalfeldmarschall Paulus in Stalingrad gefühlt hat.

Fischer: Faschist! (zu Blüm) Was wollen sie?

Blüm: Keine Ahnung. Sie sprechen eine uns unbekannte Sprache.

Inzwischen nähert sich eine Abordnung der Eingeborenen.

Westerwelle (leicht überheblich): Laßt mich das mal managen.

Fünf Minuten später. Die Gruppe sitzt in einem großen Kochtopf.

Schröder: Wenn ich nicht selbst hier sitzen würde, würde ich sagen: Die Sch...partei der Besserverdienenden hat es nicht besser verdient.

Fischer (besorgt): Hoffentlich kochen sie uns nicht zu lange. Sonst gehen wichtige Vitamine, Mineralien und Spurenelemente verloren.

Gleichzeitig diskutieren (simultan synchronisiert Ý die Red.) die Eingeborenen den Fall. Der Ältestenrat (auch Hohe Kommission genannt) ist zusammengetreten.

Häuptling: ... Was soll das heißen - wir dürfen sie nicht kochen? Es sind schließlich Menschen! Zugegeben, die Hautfarbe stört mich etwas ...

Stammesältester: Faschist!

Häuptling: ..., und in Form sind sie bis auf die beiden in blauen Uniformen auch nicht. Gerade deswegen könnte uns ein interessanter Gaumenkitzel erwarten!

Vorsitzender der Kriegerkaste: Es handelt sich aber ausschließlich um illegale Einwanderer, die den zuständigen Kriegern keine Einreiseerlaubis eines Drittstammes in mündlicher oder Bambusform vorweisen konnten. Gemäß § 134a Satz 2 des Fremdenverzehrsgesetzes der Union der Selbstverzehrer (UdS) sind sie zur Abschiebung in Haft zu nehmen. Zum Verzehr sind nur Kriegsgefangene vorgesehen. Das ist geschriebenes und Gewohnheitsrecht.

Häuptling: Na und? Dann machen wir sie eben zu Kriegsgefangenen. Als der Dicke mir dieses stinkende Stück (formt angewidert die Laute mit den Lippen nach) "Saumagen" angeboten hat, war das eindeutig ein kriegerischer Akt!

Medizinmann: Selbst wenn dies zuträfe, entsprechen diese Subjekte nicht den standardisierten Lebensmittelvorschriften der UdS. Sie haben erstens (zählt an den Fingern ab) keine sechs Wochen Quarantäne hinter sich. Zweitens sind amtliche Tätowierungen über ihre Herkunft nicht erkennbar. Allein dieser Tatbestend widerspricht mindestens 16 Gemeinschaftsverordnungen der letzten Jahre. Drittens entsprechen höchstens einige der Handelsklasse 2 nach den Normvorschriften des Medizinischen Beirates der UdS - wenn überhaupt. Die Krümmungswinkel einiger Bäuche hier (deutet auf Kohl und Schröder) scheinen mir absolut nicht normgerecht ...

Häuptling (stöhnt): Langsam wünschte ich, wir wären der Union nie beigetreten.

Stammesältester (zum Medizinmann, mit triefendem Sarkasmus): Aber mein lieber Kollege! Sie wissen doch ganz genau, daß die Regeln und Normen der UdS für ganz genau definierte Güter aus dem Binnenland erlassen wurden. Für illegal importierte Güter aus Drittstämmen gelten diese Vorschriften nicht. Wir befinden uns nach meiner Ansicht auf juristischem Neuland, da wir diese Situation noch nie hatten. Die UdS-Normen sind auf diesen Fall nicht anzuwenden. Daher ist ein Verzehr dieser Subjekte, unbeschadet ihrer Qualität, durchaus legal.

Vorsitzender der Kriegerkaste: Der verehrte Stammesälteste läßt außer acht, daß von einem illegalen Import nicht die Rede sein kann. Bei einem nach Art. 5 der Außenwirtschaftsverordnung durchgeführten illagelen Import ist nach geltender Rechtsprechung auch ein schuldhaftes Vergehen notwendig.

Häuptling: Hä?

Stammesältester (ungeduldig): Er meint, und diese Ansicht stellt keineswegs die herrschende Meinung dar, daß es ohne einen illegal handelnden Importeur auch kein illegal importiertes Gut geben kann. Ich glaube jedoch, daß es sich hier formal gesehen durchaus um einen illegalen Import handelt, da man die Vorschriften auch sinngemäß anwenden kann. (Beifälliges Gemurmel aus der Ältestenversammlung) Ich zweifle nicht, daß die Hohe Kommission mir folgen wird.

Häuptling (verliert die Geduld): Hier geht's doch nur um einen Imbiß! Können wir sie nun essen oder nicht?

Stammesältester: Meiner Meinung nach ja!

Medizinmann: Meiner Meinung nach nein!

Kohl: Ich weiß nicht warum, aber irgendwie hört sich das alles sehr vertraut an.

Inzwischen hat die Ältestenversammlung mehrheitlich dafür gestimmt, die Gefangenen zum Verzehr freizugeben. Mehrere Krieger fachen ein Feuer unter dem Topf an.

Westerwelle (mit einem Anflug von Panik): Diese verdammten Primitiven machen Ernst!

Fischer (gesammelt): Aus ernährungsphysiologischer Sicht ist das wirklich nicht zu begrüßen: Zu fettes Essen. Aber andererseits müssen wir die Kulturen fremder Völker respektieren, ob es uns nun gefällt oder nicht.

Blüm: Genau! Denkt an die soziale Verantwortung!

Pilot (gebrochen): Ich faß' es nicht. Da frißt man jahrelang kein Fleisch mehr, um sich nicht mit BSE anzustecken, und dann...

Häuptling (schreckt hoch): BSE?

Kohl (wittert seine Chance): BSE. Hmmmmm, lecker! (Reibt sich den Bauch und führt die Hand an den Mund) Gut, aus Europa! Verstehen Du? Europa! BSE! Hamham!

Stammesältester: Das ändert die Sachlage vollkommen. Ich schlage vor, an den Subjekten unter Bezugnahme auf die Notstandsgesetzgebung nach § 27 Satz 1 des Seuchengesetzes der UdS eine Blitzausweisung im Verwaltungsverfahren durchzuführen, mit verkürzter Anhörungsfrist und ohne Widerspruchsregelung,

Häuptling: Ja gut, wir schmeißen sie raus. (Aggressiv) Wir müssen ja wohl, oder?

Die Schiffbrüchigen werden auf ihre Rettungsinsel verfrachtet und nach Absingung traditioneller Flüche ins offene Meer geschleppt.

18.000 Kilometer entfernt.

Bundeskanzler Dr. Jürgen Rüttgers (amüsiert): Nicht zu fassen: Der Kohl packt es doch immer wieder! (Deckt die allwissende Kristallkugel mit einem Tuch ab und lümmelt sich bequem in Kohls Sessel) Aber keine Sorge: Der nächste Haifisch kommt bestimmt.

G.D./MiWi