Politik

Leichtfertig verschenkt

Briefkästen den Briefen - Werbung raus?

"Keine Werbung einwerfen": So oder ähnlich prangt es an Millionen deutscher Briefkästen. Wer die in gewaltigen Mengen auf die deutschen Haushalte niederprasselnden Wurfsendungen verschiedenster Branchen als lästig oder gar als Zumutung empfindet, kann sich so schützen und dabei auf höchstrichterliche Urteile stützen.
Allerdings greift das Schildchen nicht bei persönlich adressierten, postalisch verschickten Werbeschreiben, da den Postboten (ebenfalls richterlich geklärt) nicht zugemutet werden kann, Werbesendungen auszusortieren. Doch keine Angst: Vor der Belästigung schützt die sogenannte "Robinson-Liste" des Deutschen Direktmarketingverbandes, auf die man sich setzen lassen kann. Dann wird man zumindest von den Mitgliedern des Verbandes nicht mehr behelligt.
Umstritten sind Anzeigenblätter mit redaktionellem Teil. Wer hier auf Nummer sicher gehen will, sollte ein zweites Schild auf seinem Briefkasten anbringen (falls noch Platz ist).
Aber warum verzichten so viele Menschen eigentlich auf kostenlose Informationen, die ihnen bares Geld einbringen können oder Möglichkeiten eröffnen, an die sie vorher gar nicht dachten?
Man erfährt nichts, wenn der Supermarkt an der einen Ecke bestimmte Waren im Sonderangebot hat und der an der anderen Ecke nachzieht; wenn ein neues Friseurgeschäft eröffnet oder ein Pizza-Service die etablierte Konkurrenz unterbietet; nichts über den Handwerker, der zufällig vielleicht genau die Problemlösung anbietet, nach der man lange gesucht hat; nichts über Entwicklungen auf Märkten mit sich rasant ändernden Preisen wie etwa dem Computer- und Telekommunikationsmarkt.
Wenn die Werbemuffel nur Geld verschenken würden, könnte einem das egal sein. Sie haben das Recht, für ihre Bequemlichkeit leichtfertig einen hohen Preis zu zahlen. Doch sie zementieren auch etablierte Geschäftsstrukturen, weil sie freiwillig gar nichts über neue Anbieter, die vielleicht besser und billiger sind, wissen wollen. Sie verschlechtern die Chancen von Newcomern. Sie dämpfen den Wettbewerb zugunsten der Etablierten.
Werbung verstärkt Konkurrenz. Starke Konkurrenz ist gut für die Verbraucher, verringert die Preise und spornt die Unternehmer zu besseren Produkten und Dienstleistungen an. Werbung ist für Existenzgründer überlebenswichtig. Das gilt gerade im lokalen Bereich.
Klar ist Werbung lästig. Aber sie enthält immer auch wenigstens ein Körnchen Information - und sei es nur die, daß das betreffende Produkt oder der für sich werbende Unternehmer existiert. Daß Werbung übertreibt, Nachteile verschweigt und teilweise bewußt falsche Erwartungen weckt, dürfte bekannt sein und wird sowieso einkalkuliert. (Plumpe Lügen kommen im allgemeinen nicht vor, weil sonst die Wettbewerber vor Gericht ziehen.)
Aufgeklärte Verbraucher nutzen Werbung. Und sei es nur durch eine verbesserte Verhandlungsposition ("... Ihr Konkurrent bietet dasselbe aber billiger an!").
Werbung bedeutet oft, mit Veränderungen konfrontiert zu werden. Vielleicht ist das der wirkliche Grund, warum immer mehr Menschen ihren Briefkasten werbefrei halten wollen. Ist dies etwa ein Indiz jener Erstarrung, die Deutschland erfaßt zu haben scheint? Na dann gute Nacht!

G.D.