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Aber wo sind die verdammten Schulmädchen?

Eigentlich begann alles ganz harmlos. Jeder kennt die Situation, wenn die Tage länger und heißer werden und das Fernweh durchkommt: Dann ist Urlaubszeit. Da entscheidet man sich entweder für einen Erholungs-, Familien-, Fitneß- oder Partyurlaub. Wir entschieden uns für letzteres. Das Ziel hieß IBIZA. Das machte natürlich auf Freunde und Bekannte gleichermaßen Eindruck, und mit jeder Menge guter Ratschläge ("Treibt's nicht zu toll!") und Vorsätze ging es in Richtung Süden.
Daß wir am späten Abend nach einem entsprechend anstrengenden Tag angekommen waren, tat unserer Laune jedoch keinen Abbruch. Zwar waren wir ein wenig erschöpft, aber einem kleinen Umtrunk in entsprechend anziehender Atmosphäre stand im Grunde genommen nichts im Wege. Man(n) wollte ja was erleben.

Narzistische Selbstdarsteller

Aber, oh weh, wir hatten ja nicht mit dem besonderen Typus Mensch gerechnet, der uns da erwartete. Und zwar handelt es sich um den auf der Insel verbreiteten Typus der ignoranten, egoistischen und narzistischen Selbstdarsteller, die eigentlich in jedem Ballungsgebiet (sprich Discos und Bars) IBIZAS anzutreffen sind und so zum unverwechselbaren Erscheinungsbild des Islands beitragen. Nach anfänglichen Zweifeln unsererseits und einer gesunden Portion Selbstkritik mußten wir auch am nächsten Morgen feststellen, daß man sich in diesen Typus nicht erst pünktlich zum mitternächtlichen Glockenschlag verwandelt, sondern es ist vielmehr ein Dauerzustand, der vermutlich den ganzen Urlaub und vielleicht sogar darüber hinaus bestehen bleibt. Mit anderen Worten, auch ein freundliches und hintergrundloses "guten Morgen" blieb auch tagsüber unbeantwortet oder wurde mittels eines verächtlichen Blickes gestraft.
Aber auch solche Allüren schreckten uns nicht, denn es nahte die Nacht und damit auch die Disco-Zeit. Nachdem man sich von einem lukullischen Abendmahl erholte und somit das einfallsreiche Abendprogramm der beiden Animateure verpaßte, ging es auf die Piste.
Das Bild, was sich dann einem bietet, gleicht mehr dem eines Flohmarktes oder Vergnügungsparks. Überall stehen Leute, die ihre "Ware" loswerden wollen. Nur daß es sich hierbei um diverse Freikarten und Freigetränke handelt, die einem den Besuch in der jeweiligen Bar vergnüglicher machen sollen. Es sind die sogenannten Anwerber, deren Aufgabe es ist, den Laden, für den sie arbeiten, vollzukriegen. Aber wechselt man mit ihnen auch ein paar persönliche Worte, so erfährt man, daß in den letzten Jahren eine Welle der Kälte über IBIZA hereingebrochen ist, die es ihnen erstens ihren Job erschwert, die Leute rumzukriegen, und zweitens das Miteinander-in-Kontakt-Kommen der Touristen erheblich erschwert, wenn nicht gar unmöglich macht.
Aber trotz dieser ernüchternden Erkenntnis beschlossen wir, es dennoch zu versuchen, dem Abend eine gewisse Würze zu geben, und selbst wenn wir einfach nur unsere Freikarten loswerden. Die Disco, auf die unsere Wahl fiel, weil wir von ihr die meisten Freikarten hatten, befand sich im Barviertel, und gegenüber befand sich ein gleichnamiger Pub. Außerdem schien der Kußmund als Logo eine herzliche und freundliche Atmosphäre zu garantieren. Aber von Küssen keine Spur.
Auch hier trafen wir wieder auf diese extravaganten extrovertierten Selbstdarsteller, die unter dem Motto "sehen und vor allem gesehen werden " ihren Tanzkünsten freien Lauf ließen, und dies nicht allzu selten auf unseren Füßen.
Also blieb einem wohl nichts mehr anderes übrig, als auf den "Selbstdarstellerzug" aufzusteigen und mitzufahren, mit dem Erfolg, daß wir nun von der auf IBIZA befindlichen Spezies akzeptiert und von ihr aufgenommen wurden.
Aber offensichtlich waren wir nicht die einzigen, die solch eine Erfahrung gemacht zu haben scheinen. Zwei junge Urlauberinnen, die wir tags darauf am Strand trafen, bestätigten unsere These der ignoranten Egoproduzenten.

Außer Spesen nix gewesen?

Zwar wollten sie nicht zugeben, daß der Urlaub eine Fehlinvestition war, da sie ja noch das Disco-Sammelticket zu ca. 250 DM hatten, was ihnen ermäßigten Eintritt zu den Dezibelbeschallungsorgien sicherte, aber ein wenig Enttäuschung war auch ihnen anzusehen.
Wir für unseren Teil sahen es aufgrund unserer gewonnenen Erfahrung für mehr als überflüssig an, an solchen lautstarken und blendenden Veranstaltungen teilzunehmen, einen übermäßig hohen Eintrittspreis (ca. 60,- DM) zu zahlen und sich ganzen Abend mit überteuerten Getränken (Cola 10,- DM) über Wasser zu halten, nur um mit der nüchternen Erkenntnis am nächsten Tag zu erwachen: "Außer Spesen nix gewesen".
Aber Discos sind ja auch nicht das einzige, was IBIZA zu bieten hat. Auch IBIZA-Stadt ist, sofern man außerhalb wohnt, auf jeden Fall einen Abstecher wert. Und wer unbedingt ein Schnäppchen machen möchte, kommt in der ehemaligen Piratenhochburg auf jeden Fall auf seine Kosten. Besonders die Einkaufsstraßen am Hafen und die Altstadt innerhalb der geschichtsträchtigen Stadtmauer sind unserer Meinung nach ein Muß für IBIZA-Besucher. Und wer die beschwerlichen Qualen eines Aufstieges in Kauf nimmt, wird bei entsprechendem Wetter und der richtigen Tageszeit mit einem unvergeßlichen Panoramablick über die Küste bis ins Landesinnere belohnt.
Um die ein oder andere Erfahrung reicher ("Nächstes Mal geht's nach Mallorca!") beschlossen wir, diesen Urlaub trotz allem in guter Erinnerung zu behalten.
Zum guten Schluß noch ein Rat an alle, die mit den gleichen Erwartungen an so eine Art von Urlaub dachten: Man(n) sollte nichts überstürzen und vor allem nichts übers Knie brechen, denn alleine die Tatsache, als Gesellschaftsbedürftiger erkannt bzw. entlarvt zu werden, vermasselt einem jede Tour. Und für alle diejenigen, die die Coolness gepachtet zu haben scheinen: Nur weiter so!! Ihr seid auf IBIZA erstens goldrichtig und wenn ihr auch noch zu der Spezies der Selbstdarsteller gehört, habt ihr auf dem Island sogar noch richtige Zukunftschancen und könnt so zum weiteren einmaligen Erscheinungsbild der Insel beitragen. Zweitens sorgt ihr dafür, daß sich in nächster Zeit nicht das Geringste auf IBIZA ändern wird. Wieso denn auch kontaktfreudig sein, wenn Mann und Frau es so prächtig verstehen, sich selbst zu inszenieren und zur Schau zu stellen.

Matthias Stevens