Politik

An der Sprache sollt ihr sie erkennen

Die Sprache beherrscht das Denken, das Denken wird von der Sprache maßgeblich geprägt. In den Leserbriefspalten der Zeitungen findet man hin und wieder Klagen darüber, unsere Sprache sei mittlerweile von viel zu vielen Anglizismen durchsetzt. Dabei benötigt man eigentlich kaum irgendwelche Anleihen fremder Sprachen, um die Wirkung von Sprache unterschwellig, aber dennoch gezielt als Mittel zum Zweck einzusetzen.
Der Zweck liegt vor allem darin, Sachverhalte oder bestimmte Umstände geschickt zu umschreiben, vor allen Dingen zu verharmlosen.
An erster Stelle bietet bietet hier natürlich die Politik zahllose Beispiele dafür, gleich gefolgt von der Werbung, die uns ja wie die Politik bekanntlich stets alles an jedem Ort und wenn möglich noch zu jeder Zeit verkaufen möchte.
Auch die selbsternannten wie die tatsächlichen Fachleute bedienen sich für ihr jeweiliges Gebiet der verschiedensten Begriffe. Aber schon der schnöde Alltag bietet genug Anwendungsfälle.

Reisezeitverlängerung

So spricht die Deutsche Bahn mitnichten von Verspätungen. Die Rede ist vielmehr von Reisezeitverlängerung. Hört sich ja schließlich auch viel positiver an, als ob man mehr fürs (Fahr)geld bekäme. Bei den regelmäßigen Fahrpreiserhöhungen spricht man dann auch lieber von Fahrpreisanpassungen.
Ebenso verwendet der Vermieter den Begriff Mietpreisanpassung, anstatt eine höhere Miete zu fordern. Kommt man sodann mit seinem Geld nicht mehr aus, also kein Auskommen mit dem Einkommen, hat man es eben mit einem Einkommensdefizit zu tun. Eine nette Umschreibung für das Wort Pleite oder Bankrott.
In den heutigen Zeiten hat man sich ja mittlerweile daran gewöhnt, daß auf Bilanzpressekonferenzen diverser Unternehmen neben glänzenden Umsatz- und Gewinnzahlen im gleichen Atemzug vom weiteren Abbau der Belegschaft gesprochen wird. Hier lautet die Sprachregelung Freisetzung statt Entlassung.

Freisetzung statt Entlassung

Wobei der Begriff Freisetzung sprachliche Anleihen bei dem Wort Befreiung zu nehmen scheint. Wo betriebsbedingte Kündigungen unvermeidbar sind, werden Arbeitsverträge aufgehoben. Die Aufhebung von Arbeitsverträgen ist jedoch heutzutage gleichbedeutend mit dem Schicksal der Arbeitslosigkeit.
Im Behördendeutsch werden im Vollzug der Durchsetzung des sogenannten schlanken Staates so auch keine Dienststellen geschlossen, sondern aufgelassen. Sollte sich nach deren Auflassung für die vormalig genutzten Räumlichkeiten keine andere Verwendungsmöglichkeit ergeben, so nimmt man eben einen Rückbau vor.
Abriß ist ja auch so ein häßliches Wort, irgendwie mit Endgültigkeit behaftet. Da stellt man doch lieber mittels Rückbau den ursprünglichen Zustand von Mutter Natur wieder her - zurück zu den Wurzeln.

Elegante Begriffe für pikante Situationen

Insbesondere im Jugend- und Sozialbereich, wo man sich mit den Auswirkungen gesellschaftlicher Fehlentwicklungen auseinanderzusetzen hat, findet man zuweilen die elegantesten Begriffe, mit denen sich die pikantesten Situationen beschreiben lassen. Kommt es zum Äußersten, wenn Minderjährige zu ihrem eigenen Wohl aus ihren Familien in die Heimunterbringung gegeben werden, liegt eine sogenannte Fremdplazierung vor. (Überhaupt stehen nur noch Klienten im Mittelpunkt aller Bemühungen, so als ob ein Anwalt von seinen Mandanten spricht.) Auffällige Jugendliche, die es mit dem Mein und Dein nicht so genau nehmen, haben gemeinhin mit einer Wegnahmethematik zu tun. Es gibt aber auch drastischere Fälle.

Inhumane Befragung

Das häßliche Wort Folterung läßt sich ebenso durch inhumane Befragung ersetzen: Hört sich doch gleich viel netter und verbindlicher an.
Selbst die Technokraten bedienen sich der Sprache als Mittel der Verharmlosung. So steht das Überplanen von Gebieten zumeist für die Vernichtung gewachsener Strukturen. Bei der Vernichtung von Grünflächen und Baumbestand kommt das Wort Abforstung auch leichter über die Lippen als die ordinäre Abholzungsaktion.
Bagatellisierung durch das Medium Sprache ist durchaus eine Form des Mißbrauchs der Sprache. Wahre Meister darin waren die Nationalsozialisten. Die Massenvernichtung der Juden bezeichnete man zynisch als sogenannte Endlösung. An diese unselige Tradition der sprachlichen Verharmlosung wurde aber ungebrochen unter anderem von der Sozialistischen Einheitspartei (SED) in der früheren DDR angeknüpft. Regimegegner und Kritiker wurden menschenverachtend als feindliche Elemente bezeichnet, die nicht zu verhaften, sondern vielmehr zuzuführen waren.
Sprache sollte in unserer aufgeklärten Gesellschaft zutreffend und wahrheitsgemäß eingesetzt werden. Gerade in unserer Republik, die vor der Notwendigkeit tiefgreifender Veränderungen steht, sollte es die Politik schlechthin vermeiden, die Wahrheiten sprachlich in Watte eingehüllt zu verkaufen. Sonst läuft man Gefahr, diejenigen, die sich Reformen und Umbrüchen nicht stellen wollen, weiterhin in falscher Sicherheit zu wiegen. Deutliche Aussprache tut nötiger denn je!