Politik

Rolle rückwärts

oder: Will sich die SPD das wirklich antun?

Der Wahlkampf der nächsten Bundestagswahl hat begonnen - spätestens seit Bundeskanzler Kohl seine erneute Kandidatur bekanntgab. Während somit für die CDU alles klar ist bzw. ganz Gallien bis auf ein kleines Volk im Südosten der Kandidatur zustimmt, hüllt sich die SPD in Schweigen. Warum?
Die SPD versucht ihr Zögern wahltaktisch zu begründen. Doch täuscht der Versuch nicht über eine fulminante Unsicherheit der anderen großen Volkspartei hinweg. Es steht die Entscheidung an zwischen Lafontaine und Schröder, zwischen "reiner Lehre" und dem "Macher".

Macher gegen Ideologe

Sammelt Schröder Punkte bei Managern und Wirtschaftsbossen, so übt sich Lafontaine im Schulterschluß mit Arbeitern und Streikenden. Um sich bei diesen dann auch so richtig anzubiedern, glaubt Lafontaine in eine Wortwahl verfallen zu müssen, die er diesen Gruppen zuzuordnen glaubt.
Ergebnis dieses Bemühens sind seine ausfälligen und beleidigenden Aussagen über "die Flaschen im Bundestag", womit wohl auch seine eigenen Genossen gemeint sein dürften.
Wen glaubt er damit eigentlich ansprechen zu können? Die breite Masse der SPD-Mitglieder oder der SPD-Wähler ist zu intelligent, diesen Parolen zu verfallen. Oder sind es die verzweifelten Hilferufe eines Mannes, der sich seiner eigenen Bedeutungslosigkeit bewußt wird?
Denn die Mehrheit der SPD-Basis steht hinter Schröder, auch wenn dem SPD-Putschisten Lafontaine schwerfällt, dieses zu erkennen. Umfragen unter den Mitgliedern der SPD belegen dies. Auch eine breite Mehrheit der Wähler lehnt den SPD-Vorsitzenden ab.
Aber warum ist Lafontaine im Gegensatz zum Ministerpräsidenten von Niedersachsen, Gerhard Schröder, so unpopulär? Es scheint fast so etwas wie ein Richtungsstreit zu sein, der sich derzeit in der SPD abspielt. Schröder steht eher für Modernisierung, für neue Antworten auf die alten Probleme der Arbeitslosigkeit und des Strukturwandels. Es scheint, Schröder wolle Tony Blair, den Wahlsieger der Unterhauswahlen von Großbritannien, kopieren.
So setzt er nicht nur auf einen Struktur-, sondern auch auf einen Wertewandel.

Warum ist Schröder beliebter?

Dieses macht Schröder bei Managern und Führungskräften der Wirtschaft populär, geht er doch auch umstrittene Themen wie Sozialhilfe und andere soziale Leistungen des Staates kritisch an. In diesen Fragen ist Schröder der Politik der Union näher, aber er begibt sich hier in einen für ihn gefährlichen Spagat: Stellen doch die sozial zu kurz Gekommenen und Gewerkschafter die klassischen Schichten des SPD-Wählerresrvoirs dar.
Andererseits muß man erkennen, daß es die klassische "Arbeiterschicht" fast nicht mehr gibt. Trotzdem setzt Lafontaine auf sie. Er steht für überholte Denkmodelle, klassenkämpferische Parolen und weitere ökologische Lasten. Gerade aber diese Ziele stellen einen Stolperstein für wirtschaftliche Entwicklung dar.
Doch die alte Garde der reinen Lehre um Lafontaine, Dreßler, Scharping und Co. steht fest zusammen und verteidigt ihre Stellungen. Daß hierüber der Staat gefährlich Schaden nehmen kann, vor allem durch die Blockadepolitik im Bundesrat, nimmt diese Gruppe, so scheint's, billigend in Kauf. Der Mißbrauch des im Grundgesetz festgeschriebenen Föderalismus richtet durch den verursachten Reformstau ungeheuren Schaden an. Erpressung und die Befriedigung lafontaineschen Egoismus - das dürfen nicht Ziele der SPD-Politik werden.

Reformstau durch die alte Garde

Es bleibt die Frage, wie lange die SPD sich solch einen weltfremden Vorsitzenden noch leisten kann. Denn nicht allein die Frage nach dem Kanzlerkandidaten ist entscheidend. Selbst wenn Gerhard Schröder zum Kanzlerkandidaten gekürt werden sollte, so wählt man damit als unerwünschte Zugaben Lafontaine und Co. gleich mit.
Solange Lafontaine in derart einflußreicher Position in der SPD den Ton angibt, ist diese Partei nicht wählbar. Das hat auch der Wähler erkannt, der in Umfragen seine Vorlieben eindeutig geäußert hat. Eine große Koalition wird es mit Lafontaine im Hintergrund nicht geben. Eben deswegen setzt Lafontaine so verzweifelt auf Rot/Grün, eine andere Wahl hat er nicht mehr. Nur ist er damit zur ökologischen Altlast der SPD geworden.

K.R.