Politik

Now working?

Labours Erdrutschsieg in Großbritannien

Im Sommer 1978 hatte die britische Labour-Regierung unter Premierminister Callaghan ernsthafte Probleme: Die Zahl der Arbeitslosen stieg auf bisher nicht gekannte Höhen, Preise und Zinsen waren außer Kontrolle, und die Gewerkschaften konnten mit ihrer heute kaum noch vorstellbaren Macht das Wirtschaftsleben fast nach Belieben lahmlegen.
In dieser Zeit startete die oppositionelle Konservative Partei (Tories) eine ziemlich geniale Vorwahlkampagne. Plakate mit dem mehrdeutigen Slogan "Labour Isn't Working" ("Labour kriegt's nicht hin" ist nur eine mögliche Übersetzung) brachten die schlechte Stimmung gegen die Regierung auf den Punkt.
Ein Jahr später gewannen die Konservativen unter Margaret Thatcher die Unterhauswahl. Was folgte, ist bekannt: Die Finanz- und Wirtschaftspolitik wurde auf eine solide Grundlage gestellt, die Gewerkschaften in einem mühsamen Kampf in ein rechtliches Korsett gezwungen und damit entmachtet, die Steuern wurden radikal umgebaut (Betonung der indirekten, Senkung der direkten Steuern) und die in einem heute unglaublich erscheinenden Maß verstaatlichte Industrie privatisiert.

Falkland und Maastricht

Der siegreiche Krieg gegen Argentinien um die Falkland-Inseln 1982 brachte der jahrelang äußerst unbeliebten Regierungschefin den nötigen Schub, um die Unterhauswahl 1983 zu gewinnen. Auch 1987 gelang ihr dies. 1990 mußte sie abtreten, weil sie bei der regelmäßigen Neuwahl des Chefs der Tories faktisch gestürzt wurde. Frau Thatchers autoritärer Regierungsstil hatte bis dahin verdeckt, daß sie im Grunde in der Partei keine wirklich breite Basis gefunden hatte.
Ihr überraschender Nachfolger John Major war schon eher nach dem Geschmack der Tory-Fraktion, und nachdem er eine für Großbritannien ziemlich vorteilhafte Ausnahmeregelung beim Maastrichter Vertrag ausgehandelt hatte, konnte er auch den Erfolg vorweisen, den er für einen Wahlsieg brauchte - und zur allgemeinen Überraschung gelang ihm der 1992 gegen die erstarkende Labour Party noch einmal. "Labour isn't working" - das hatte sich fest eingegraben.
Wie sollte man auch einer Partei trauen, deren Parteitage von dem Blockstimmrecht der Gewerkschaften dominiert wurden? Die am Gängelband der radikalen Gewerkschaftsführer zu laufen schien? Die in ihrem Grundsatzprogramm immer noch die weitgehende Verstaatlichung der Wirtschaft forderte? Und deren linker Flügel in Deutschland wahrscheinlich höchstens in kommunistischen Splittergruppen eine politische Heimat gefunden hätte?

"Mischung aus Bambi und Stalin"

Labour begriff, daß Majors Sieg zu einem großen Teil auf dem Mißtrauen gegenüber der eigenen Partei basierte, und begann sich vom historischen Ballast der Jahre zu trennen, als Labour noch eine politische Vorfeldorganisation der Arbeiterbewegung war. Der Verstaatlichungsartikel wurde aus dem Grundsatzprogramm gestrichen. Das Blockstimmrecht der Gewerkschaften wurde kräftig eingeschränkt. Der linke Flügel wurde entmachtet. Und nach dem Tod des ebenfalls schon reformwilligen Labour-Chefs John Smith wählte man Tony Blair an die Spitze, der den Erneuerungsprozeß beschleunigte und gleichzeitig auch glaubwürdig verkörperte. Wegen seiner Durchsetzungsfähigkeit und seines telegenen Aussehens nannten ihn Spötter "eine Mischung aus Bambi und Stalin".
Es ist nicht überraschend, wenn man liest, daß Blair bei seinem ersten politischen Gehversuch, einer Kandidatur als Schulsprecher, noch als Konservativer galt und er erst später zu Labour fand. Zyniker behaupten sogar, der größte Erfolg der Konservativen und Margaret Thatchers bestehe darin, daß Labour nun von einem waschechten Tory geführt werde.
Sicher ist, daß dieser auch historisch gewaltige Erdrutschsieg der Labour Party nur geschehen konnte, weil die Wähler die Angst vor dieser Partei verloren hatten. Die Konservativen waren reif zur Abwahl, Labour war reif zur Übernahme. Wenn Blair diese Wahl nicht gewonnen hätte - welche hätte er dann gewinnen können?

Unbequeme Mehrheit

Die Zweidrittelmehrheit im Unterhaus dürfte dem neuen Premierminister allerdings nicht unbedingt behagen. Wegen des riesigen Vorsprungs vor den Tories besteht keinerlei Notwendigkeit zu erhöhter Parteidisziplin. Und wie stark Blairs Hausmacht in dieser Fraktion ist, muß sich erst noch herausstellen.
Bisherige Spekulationen besagen meist, daß Labour die Grundlagen der konservativen Finanzpolitik erst einmal beibehalten will. Von der Aufweichung der Gewerkschaftsgesetzgebung, die Großbritannien überhaupt erst attraktiv für viele ausländische Investoren machte, hat man aus Labour-Mündern noch nichts vernommen. Verstaatlichungen sind ebensowenig angekündigt worden; nur den privatisierten Energieversorgern soll eine Sondersteuer auferlegt werden.
Auch in der Europa-Politik erwartet man keine Kehrtwendung. Großbritanniens Abneigung gegen eine stark integrierte EU oder gar die "Vereinigten Staaten von Europa" war keineswegs eine konservative Marotte, sondern entspricht wohl eher dem britischen Selbstverständnis.
Gespannt darf man sein, was die institutionellen Reformen Labours' betrifft. Bisher ist bekannt, daß sie den örtlichen Parlamenten in Wales und Schottland mehr Entscheidungsrechte geben wollen. Das Oberhaus, bestehend aus etwa 1300 Erb- und ernannten Adeligen (so auch der Baroneß Thatcher), wird wohl Schritt für Schritt reformiert, wobei zuerst der Erbadel seine (allerdings ohnehin nur noch schwachen) Privilegien verlieren dürfte.
Es heißt, die Briten seien gegen Veränderungen; wenn sie aber doch damit anfingen, machten sie sie besonders gründlich. Aber ob sie ihr für Außenstehende faszinierendes politisches System, das auf einer nirgendwo schriftlich fixierten Verfassung beruht, nach kontinentaleuropäischem Muster umbauen, mit einer gewählten zweiten Kammer, einem nach Verhältniswahlrecht gewählten Unterhaus, einem Verfassungsgericht und - das wäre ein schwarzer Tag für die weltweite Boulevardpresse - vielleicht sogar einem Präsidenten: das erscheint doch unwahrscheinlich. Und wünschenswert wäre es erst recht nicht.

G.D.