Politik

Porzellan zerschlagen

Was ist los in Ankara?

Das fragt sich wohl nicht nur der deutsche Außenminister, nachdem die türkische Regierung einmal mehr zu diplomatischen Mitteln der besonderen Art gegriffen hat. Was war passiert? Innerhalb kurzer Zeit brannten in den Niederlanden und im nordrhein-westfälischen Krefeld zwei Wohnungen mit türkischen Bewohnern ab. Neun Menschen fanden dabei den Tod.

Täter war sofort klar

Obwohl die örtliche Polizei von Anfang an Zweifel hatte, daß es sich in Krefeld um einen rassistischen Anschlag handelte, hagelte es bereits Schuldzuweisungen seitens der türkischen Gemeinde in NRW und aus dem türkischen Innenministerium. Für Ankara war der "Anschlag" die logische Fortsetzung von Mölln und Solingen, und man wartete bereits darauf, kahlgeschorene und naziparolenbrüllende Deutsche präsentieren zu können.
Dabei sparte man nicht mit persönlichen Attacken gegen die Bundesregierung und Bundeskanzler Helmut Kohl. Angeblich ließ sich die türkische Innenministerin auch zu dem folgenschweren Zitat hinreißen, daß die Deutschen, wenn sie die Türken schon nicht rausschmeißen können, sie verbrennen.

Kinkel verstimmt

Die Reaktion unseres sonst eher ruhig gestimmten Außenministers Kinkel war scharf. Nachdem klar war, daß als Tatverdächtiger kein Rechtsradikaler, sondern der Familienvater festgenommen wurde, verlangte Bonn ein Dementi oder eine Entschuldigung. Ankara reagierte diplomatisch, daß es sich hierbei zweifellos um ein Mißverständnis und falsche Zitate handeln müsse. Plötzlich war keine Rede mehr von antideutschen Parolen.
Das wäre ja gerade noch glaubhaft, wenn die Regierung Erbakan/Ciller diplomatisch nicht andauernd weltweit ins Fettnäpfchen treten würde. Der Fundamentalist Erbakan, der schon vor seiner Wahl zum türkischen Ministerpräsidenten keinen Hehl aus seiner Abneigung gegen den Westen gemacht hatte, und auch gegen den Beitritt der Türkei zur EU und Mitgliedschaft in der NATO war, machte seinen Antrittsbesuch nicht ohne Grund in international geachteten Staaten wie Lybien und Iran.

Weltweit ins Fettnäpfchen

Der Besuch in Lybien war zweifellos eine schwere Schlappe für Erbakan, da Revolutionsführer Gaddafi ihn öffentlich wegen der türkischen Kurdenpolitik kritisierte, Das hinterließ in der Türkei, besonders bei der Armee, die sich selbst als Hüterin der Republik sieht, einen üblen Nachgeschmack. Auch gegenüber der EU schlägt er nun schärfere Töne an.
Der Grund in solchen Aktionen könnte darin liegen, die Bevölkerung langsam und behutsam auf eine islamische Republik vorzubereiten, ohne dabei vom Militär gestürzt zu werden. Sinn und Zweck der Angriffe gegen Deutschland ist ein anderer. Ankara hat die ständigen Ermahnungen der Türkei durch Bonn wegen der nur mangelhaft durchgesetzten Menschenrechte wohl gründlich satt. Schafft man es nun, Deutschland als rassistisches Land zu "entlarven", dann verliert jegliche Nörgelei aus Bonn an Glaubwürdigkeit. Doch Erbakan regiert nicht allein.
Seine Koalitionspartnerin Ciller, die es überhaupt erst möglich gemacht hat, daß ein Fundamentalist in der Türkei an die Macht kommt, muß diese Politik zumindest dulden, da die oben genannte türkische Innenministerin aus dem Lager von Frau Ciller stammt.

Nicht nur Megaphon-Diplomatie

Doch die Formen der Attacken beschränken sich nicht nur auf die von Kinkel gerügte "Megaphon-Diplomatie". Jüngst riet die türkische Führung in Deutschland lebenden Türken, sich deutschen Parteien als Mitglieder anzuschließen, um auf diese Weise die deutsche Politik von der Parteienbasis aus zu türkischen Gunsten zu beeinflussen. Als Beispiel sei hier die CDU Berlin zu nennen, die die Parteibeitritte gleich im Dutzend bekam. Auch hier im Rheinland, in der allernächsten Umgebung, hat die CDU auffallend großen türkischen. Zulauf, dem Vernehmen nach von Menschen, die Erbakans Refah-Partei oder einer dieser nahestehenden Organisation angehören. Ob es sich dabei um ein plötzlich gewecktes Interesse an Parteipolitik in Deutschland oder um eine breit angelegte Unterwanderungsaktion handelt, bleibt der Meinung eines jeden Einzelnen überlassen. Wer weiß schon, was daraus einmal gedeihen wird.
Doch auch mit vielen islamischen Staaten hat die Türkei sich inzwischen angelegt. So stammt auch der Vorschlag, eine Art islamischer NATO zu gründen, aus der Türkei - natürlich unter türkischer Führung. Klar, daß dies bei Staaten, die diesen Führungsanspruch der Türkei nicht hinnehmen, unter anderem Ägypten, zu Verstimmungen führte. Man hat der Türkei zum Teil noch nicht verziehen, daß sie als Osmanisches Reich viele dieser Länder besetzt hatte. Darüber hinaus versucht die Türkei Einfluß in vielen islamischen Staaten der ehemaligen UdSSR zu gewinnen.
Alle diese Entscheidungen führen bzw. haben dazu geführt, daß die türkischen Beziehungen zu anderen Staaten sehr gelitten haben, weil Erbakan wie ein Elefant im Porzellanladen vorgegangen ist. Da ein Dementi aus der Türkei zu den Vorwürfen gegen Deutschland bisher nicht gekommen ist, steht es auch hier nicht zum besten. Ankara täte gut daran, nicht andauernd das Bild der von allen mißverstandenen und verfolgten türkischen Notgemeinschaft in Deutschland zu propagieren. Dies führt sowohl auf türkischer als auch auf deutscher Seite zu zunehmenden Spannungen, die sich dann wirklich entladen könnten.

MiWi