Satire

Chefsuche

Wer führt uns durchs 21. Jahrhundert?

Steuerdebatte hin, Diäten her - dies alles sind Nebenkriegsschauplätze. Die Nation wird vielmehr durch die bohrende Frage gequält: Wer wird unser neuer Chef?
Die Anforderungen an einen Bundeskanzler sind ja eigentlich recht leicht zu erfüllen: Jung und erfahren sollte er sein, dynamisch und bodenständig, tierfreundlich und kein Vegetarier, schlank und gemütlich, selbstsicher und sensibel, bescheiden und selbstbewußt und das alles zu den Bezügen eines Bundestagsdieners.
Viele Kandidaten sind altbekannt, etwa der Dicke, der Demagoge, der Fahrradfahrer und der frühere Turnschuhminister. Das Problem ist, daß leider keiner dieser an sich vortrefflichen Politiker die vom Publikum geforderten Eigenschaften alle erfüllt.
So haben wir, der politische Stab des Politeia-Redaktionsteams, Kosten und Mühen gescheut, d i e Wunschkandidaten der Bundesbürger herauszufinden.
Ganz oben auf der Wunschliste steht Inge Meysel. Die frühere Mutter, inzwischen Groß- buw. Urgroßmutter der nicht vorhandenen Nation erfreut sich immer noch bester Gesundheit, ist allerdings weiblichen Geschlechts und daher vermutlich bei den weiblichen Wählern nicht durchsetzbar.
Direkt dahinter kam Michail Gorbatschow, der bei uns eh immer beliebter war als jeder Bundeskanzler. Wir fragen uns allerdings, ob nach der Rechtschreibreform die Umstellung auf kyrillische Buchstaben nicht doch zuviel des Guten wäre.
Dagobert Duck wurde wegen seines unverkrampften Verhältnisses zum Geld und seiner offen zutage liegenden Genialität in Finanzdingen ebenfalls oft genannt (3.1 bei seinen Anhängern, 2.0 von allen, -0.2 von seinen Gegnern), doch lehnt eine große Minderheit der Bevölkerung ihn wegen seines offenbar nichtdeutschen Aussehens ab.
Boris Becker ist aus ähnlichen Gründen wie Duck Wunschkandidat: Gutes Verhältnis zum Geld und populäre Einstellung zum Steuernzahlen. Aber auch er hat seine Feinde, nämlich Fußballfans, die jahrelang bis heute von Tennis-Lifeübertragungen genervt wurden. Auch die alternative Szene (Hafenstraße) hat sich von Becker wieder abgewandt, seitdem er Familienvater ist ("wer zweimal mit derselben pennt, gehört schon zum Establishment").
Der bekannteste Kandidat, den aber keiner kennt, ist der Chef von Greenpeace, Thilo Bode. Schließlich wollten 70% der Deutschen, als sie von Greenpaece erfuhren, daß es sich bei Brent Spar weder um eine neuseeländische Formel-1-Rennstrecke noch um einen beliebten Haushaltsreiniger handelte, seiner Organisation bei der nächsten Wahl ihre Stimme geben. Für ihn spricht auch die fehlende Demokratie in der Greenpeace-Führungsclique. Man zahlt und zahlt, hat aber keinen Einfluß: Somit würde sich eigentlich in Deutschland nicht viel ändern. Doch andererseits soll sich ja gerade etwas ändern (Standort Deutschland und so). Exit Bode.
Günter Strack? Nur eine Minderheit konnte sich für diesen hessischen Boris Jelzin erwärmen. Ganz anders sieht es bei Harald Juhnke aus. Die deutsche Außenpolitik würde revolutioniert. Sein durch keine lästigen Tabus behinderter Umgang mit mit Alkoholika und sein offenherziger Umgang mit seinen zahlreichen Schwächen dürften seine Popularität eher steigern, allerdings könnte das Regieren Deutschlands aus Reha-Kliniken gewisse logistische Probleme aufwerfen. Andererseits regierte schon Karl der Große sein Reich von verschiedenen Standorten aus. Daß Juhnke bei wichtigen Verhandlungen von tückischen Gegenspielern unter den Tisch getrunken würde, ist ebenfalls kaum zu erwarten. Er ist ja nicht blöd.
Al Bundy. Hier tut sich ein wahrer Graben auf zwischen Leuten, die ihn kennen, und Leuten, die ihn hassen. Seine nicht gewaschenen Socken und Hemden könnten zu atmosphärischen Verstimmungen auf höchster Ebene führen, wobei positiv allerdings seine attraktive First Lady und die Tochter (Dumpfbacke) zu Buche stehen. Allerdings wird ihm auf wirtschaftlichem Gebiet nicht zugetraut, Auswege aus der deutschen Wirtschaftskrise zu finden, sondern eher das Gegenteil. Besonders die deutsche Damenschuhindustrie wäre dem Untergang geweiht. Doch seinen Fans macht das nichts aus.
Ein Klassiker, der bei keiner Kanzlerkandidatenshow fehlt, ist Stefan Derrick. Sein Markenzeichen ist (in der heutigen Zeit besonders selten), daß er alle Probleme grundsätzlich in 60 Minuten (ohne Werbeunterbrechung) löst. Dienstflugaffären wären nicht zu befürchten, da sein Chauffeur und politischer Weggefährte Harry immer mit von der Partie ist. Ein weiterer Pluspunkt: Als einer der wenigen, vielleicht sogar einziger Kandidat verfügt er über eigene Fanclubs in Frankreich und Japan. Problematisch bleibt sein gestörtes Verhältnis zur uniformierten Polizei, die ausschließlich zum Kaffeekochen und Gefangenentransport mißbraucht würde. Probleme mit der Gewerkschaft der Polizei wären programmiert. Hinzu käme das nie geklärte Abhängigkeitsverhältnis zwischen Derrick und seinem Redenschreiber Herbert Reinecker.
Aus anderen Überlegungen scheitert Columbo. Erstens dauert die Problemlösung mindestens 90 Minuten, zweitens ist sein Äußeres auf internationaler Ebene nicht tragbar, und drittens ist sein Dienstwagen keine Werbung für den Wirtschaftsstandort Deutschland.
Bei einem Teil der jüngeren Bundesbürger ist DJ Bobo sehr beliebt. Allerdings mußten wir bei unserer Umfrage jedesmal zweimal nachfragen, weil die meisten Hörschäden haben. Leider sind diejenigen, die ihn gut finden, noch nicht im wahlfähigen Alter - und sollten es nach unserer Meinung auch nie werden.
Noch vor wenigen Monaten wäre Henry Maske einhelliger Favorit gewesen. Doch inzwischen macht sich selbst bei den Frauen die Erkenntnis breit, daß Deutschland mit genug Beamten geschlagen ist.
Auf einige völlig absurde Vorschläge wollen wir nicht näher eingehen. Einige Befragten wollten tatsächlich den VW-Boß Gerhard Schröder als Bundeskanzler. Manche dachten sogar allen Ernstes an den Zukunftsforscher Jürgen Rüttgers oder den Wuppertaler Volksredner Johannes Rau.
Zuletzt kam der Vorschlag Til Schweiger. Und je mehr die Befragten überlegten, desto einleuchtender schien die Idee. Mit einem hergelaufenen Taxifahrer als Regisseur einen erfolgreichen deutschen (!) Film zu produzieren - das klingt nicht nur wie eine amerikanische Erfolgsstory (und die USA hatten auch einmal einen Schauspieler als Chef), sondern bedeutet auch, daß der Mann sehr gut mit fremdem Geld umgehen kann. Politiker reden ohnehin zuviel, so daß allein schon der Name Sympathie erweckt. "Knockin' on heaven's door" - das paßt doch. Oder?

G.D. / MiWi