Politik

Ablösung

Wechsel an der Spitze des Unternehmens Zukunft

Jüngst noch mit der Ehrendoktorwürde der Technischen Hochschule Aachen versehen, wird Heinz Dürr im Sommer dieses Jahres als Vorstandsvorsitzender der Deutschen Bahn AG ausscheiden.
Für die Zeit danach ist für ihn bereits ein Sitz im Aufsichtsrat seines Unternehmens reserviert, dem er dreieinhalb Jahre nach der sogenannten Bahnreform vorstand. Sein Name wird mit der Umwandlung der vormaligen Deutschen Bundesbahn und Reichsbahn von einer Behörde zur Aktiengesellschaft namens Deutsche Bahn AG ein für alle Mal verbunden bleiben.
Der designierte Nachfolger, Johannes Ludewig, wird sich mächtig ins Zeug legen müssen, um auf dem Weg der Bahn in die Marktwirtschaft entsprechende Spuren zu hinterlassen. Dabei entbehrt es nicht einer gewissen Pikanterie, daß die Ablösung des Managers aus der Wirtschaft ausgerechnet durch einen beamteten Staatssekretär aus dem Bundeswirtschaftsministerium erfolgt.

Schlechtes Klima

Ein Leitartikel der renommierten Frankfurter Allgemeinen Zeitung wähnte die Bahn unlängst gar auf der Erfolgsspur. Das dritte Geschäftsjahr der Bahn AG weist Gewinne aus, der Umsatz im Konzern ist erstmals über die 30 Milliarden DM gestiegen. Zudem schreitet der Personalabbau fort - in diesen Zeiten stellt dies für die meisten Unternehmen quasi eine Art von Erfolgsparameter dar, ähnlich wie der Erfolg mittels Gewinnerlösen und Umsatzsteigerungen gemessen wird. Allerdings muß man der Deutschen Bahn zugute halten, daß die Zahl ihrer Mitarbeiter weitestgehend sozialverträglich und ohne Massenentlassungen verringert werden konnte. Es kam sogar zu einer Art "Bündnis für Arbeit", durch das betriebsbedingte Kündigungen bis einschließlich 1998 vermieden werden.
Dennoch ist das Klima unter den Beschäftigten der ehemaligen Staatsunternehmens denkbar schlecht. Der Betrieb der Eisenbahn ist eben von höchst komplexer Natur, alle Bereiche sind auf das Engste miteinander verzahnt
Aus rein betriebswirtschaftlicher Sicht und im Sinne einer klar abgrenzbaren Kostenrechnung und Transparenz mag die Diversifikation der Bahn in die verschiedenen Geschäftsbereiche zwar sinnvoll sein, für die tägliche Abwicklung der originären Dienstleistung Schienenverkehr kann dies jedoch mitunter verheerende Folgen haben, und eben diese Folgen bekommt der Kunde des "Unternehmens Zukunft" bei der Nutzung von Zügen der Deutschen Bahn AG nahezu täglich zu spüren.

Schwächen der Aufteilung

In der aktuellen Ausgabe des "Eisenbahn-Kuriers", einer der führenden deutschen Fachzeitschriften, kann man die Erlebnisse eines Dienstreisenden nachlesen. Dessen Erfahrungen müßten den Verantwortlichen des Zukunftsunternehmen Bahn eigentlich die Tränen in die Augen treiben. Zwar hat an diesen Zuständen auch der überalterte Triebfahrzeugpark seinen gehörigen Anteil, aber gerade bei derartigen betrieblich bedingten Störfaktoren werden die Schwachstellen der getroffenen Aufsplittung in die verschiedensten Geschäftsbereiche offensichtlich.
Unter anderem unterbleiben Bahnsteigansagen über verspätete oder ausgefallene Züge. Wer in einem liegengebliebenen Zug sitzt, muß damit rechnen, stundenlangen über die Gründe im Unklaren gelassen zu werden. Belege hierfür sind in der Tagespresse nachzulesen, was natürlich Negativwerbung für die Bahn darstellt.

Lauter kleine Manager

In den verantwortlichen Positionen und Schaltstellen einzelner Geschäftsbereiche sitzen lauter kleine Manager. Der Bahnhofsvorsteher von damals darf sich nun Bahnhofsmanager schimpfen, quasi die Schmalspurausgabe eines Heinz Dürr, dessen Denken sich allein auf seine Zuständigkeit verengt: Hauptsache, man hat die eigenen Kosten im Griff.
Hinzu kommt, daß im Fall eines Falles die tatsächliche sachliche und örtliche Zuständigkeit unklar ist. Da hat selbst der Bundesgrenzschutz als polizeiliche Ordnungsmacht auf dem Bahngelände seine Schwierigkeiten. Beispiele sind nahezu beliebig aufführbar, würden den Rahmen dieser Abhandlung jedoch sprengen. Trotz Beschäftigungspaket schlägt sich dies auf Stimmung, Krankenstand und Verhalten der Mitarbeiter nieder.
Sicheres Indiz dafür ist die Vehemenz, die diese Thematik in der Mitgliederzeitschrift "Bahnzeit" an Raum einnimmt. Die "Denke", die bei der Bahn mittlerweile Einzug gehalten hat, wurde im letzten Jahr in der Zeitung der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) durch eine Karikatur äußerst treffend verdeutlicht: Zwei Eisenbahner stehen auf einem Bahnsteig zusammen. Einer der beiden kickt eine leere Getränkedose auf das Gleis und bemerkt, daß für deren Beseitigung nunmehr die Kollegen vom Netz zuständig seien. Aber auch sonst sind die Jahre der privatisierten Bahn von allerlei Peinlichkeiten überschattet.

Peinlichkeiten

Weder die Neigetechnik-Züge noch die Doppelstockschienenomnibusse konnten bislang dem fahrplanmäßigen Verkehr übergeben werden. Früher wurden solche Fahrzeuge als Vorserientypen erst hinreichend auf ihre Praxistauglichkeit überprüft. Heutzutage wird das Fahrzeugmaterial bei der Industrie bestellt, die termingerecht zu liefern hat und deren Produkte dann gefälligst zu funktionieren haben. Andernfalls kann man sich ja des Regresses oder zu vereinbarender Konventionalstrafen bedienen.
Überhaupt scheint man sich bei der Deutschen Bahn AG lieber mit der Entwicklung von Immobilien in Innenstadtlagen wie Leipzig oder Stuttgart Hauptbahnhof zu beschäftigen, als sich auf das Kerngeschäft, die Betreibung und Gewährleistung eines fahrplan- und ordnungsgemäßen Bahnbetriebes, zu konzentrieren. Bahnhöfe sollen ja ohnehin demnächst mehr "Erlebniswelten" statt Stätten ankommender und abfahrender Züge sein.
Währenddessen verschwinden im ersten Quartal dieses Jahres die letzten Postzüge von den Schienen, die Post AG bevorzugt den Lastkraftwagen. Der Güterverkehr befindet sich, entgegen allen Bekundungen, weiter auf dem Rückzug. Der klassische Gleisanschluß ist tot, im Westen längst, im Osten ist man auf dem besten Wege dahin. Es rechnet sich halt nicht mehr. Trotz aller Dementis hält sich das Gerücht hartnäckig, daß die Bahn die Stillegung von rund zehntausend Streckenkilometern betreibt.
Das Ende der Bahnreform könnte lauten: Operation gelungen, Patient tot, und zwar wenn die Bahn auf Dauer rentabel arbeitet, aber bis auf den Fernverkehr zwischen den Großstädten und Ballungsräumen sowie den S-Bahnverkehr nichts mehr weiter angeboten wird. Die Bahn findet schon heute in der Fläche in mancher Region überhaupt nicht mehr statt. Das wirtschaftliche Ziel wäre dann zwar erreicht, verkehrspolitische Vorgaben aber, mehr Verkehr auf die Schiene zu setzen, gründlich verfehlt.

Harter Job für Kohls Mann

Johannes Ludewig, Vertrauter des Kanzlers und wohl auch dessen Wunschkandidat, ist zu wünschen, daß er dem Faktor Wirtschaftlichkeit und Rentabilität eben nicht nur über Abbau und Stillegung näherkommt. Dieser bislang praktizierte Weg mag zwar die einfachste und sicherste Methode sein, aber eben nicht die, die der Bahn neue Chancen am Markt erschließt.
Zumindest stimmt es hoffnungsvoll, daß trotz der "politischen" Lösung Johannes Ludewig der Posten des Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Bahn AG nicht zur Ver- und Entsorgung solcher Bundesminister wie etwa Günter Rexrodt mißbraucht wurde.