Politik

100 Tage T-Aktie

Nach dem größten deutschen Börsengang aller Zeiten

In der letzten Oktober-Ausgabe von Politeia haben wir den Börsengang der Deutschen Telekom unter die Lupe genommen, handelte es sich dabei ja nicht nur um ein wirtschaftliches, sondern auch sehr politisches Ereignis: Der größte und fraglos wertvollste Staatskonzern sollte durch den Verkauf von gut einem Viertel seiner Anteile an ein breites Anlegerpublikum teilprivatisiert werden.
Die genauen Daten waren im Oktober noch nicht bekannt, ebensowenig wußte man, ob die deutschen (Klein-)Anleger anbeißen würden.

20 Milliarden Einnahmen

Als an jenem zumindest für Börsianer denkwürdigen 18. November der Börsenhandel mit T-Aktien begann (übrigens mit einem Kurs, den die Aktie monatelang nicht mehr erreichen sollte), hatten sich die Sorgen der Politiker und Banker bereits verflüchtigt: Die T-Aktie war fünf-bis sechsmal überzeichnet worden. Das heißt: In der vorangegangenen Zeichnungsfrist, in der die Anleger Aktien "bestellen" konnten, gingen Angebote für mehr als die fünffache Menge der angebotenen Aktien ein. Bei "normalen" Aktienemissionen wäre dies nicht weiter verwunderlich; doch die Telekom sprengte vom Volumen her alle bekannten Grenzen.
Lohn einer frühen Bestellung war der Emissionspreis von 28,50 bzw. 28 DM (für Kleinanleger). Die vor der Zeichnungsfrist angegebene Spanne von 25-30 DM wurde klugerweise nicht ausgeschöpft. Allerdings erhöhte die Telekom während der Zeichnungsfrist das Volumen der Aktien um 100 Millionen auf 600 Millionen Stück, als der Erfolg der Zeichnung absehbar war. Das provozierte zwar die Kritik mancher Aktionärsvereinigungen (fast alle Banken waren ja an der Emission beteiligt und durften daher nichts sagen), scheint aber vernünftig gewesen zu sein. Denn im Jahr 1998 wird die Telekom eine zweite Tranche Aktien in ähnlicher Größenordnung wie 1996 anbieten; je kleiner diese Tranche ausfällt, desto geringer wird der T-Aktienkurs dann unter Druck geraten.
Insgesamt emittierte die Telekom etwa 713 Millionen Aktien: 600 Millionen aus der normalen Emission, eine sogenannte Sonderzuteilungsoption ("green shoe") von 90 Millionen Stück und etwa 23 Millionen Belegschaftsaktien. Der Erlös von 20 Milliarden DM diente in erster Linie der Tilgung von Schulden. Die Telekom war zum Zeitpunkt des Börsengangs mit etwa 100 Milliarden DM (!) verschuldet; zuletzt betrug diese Summe immer noch gewaltige 82 Milliarden.

Freibier-Effekt

Der große Erfolg der T-Aktie wurde fast einhellig auf die pfiffige Werbekampagne der Telekom zurückgeführt. Die TV-Spots mit dem Schauspieler Manfred Krug trafen offenbar genau den Nerv des Publikums, das sich mit Krug stark identifizieren konnte. Auch zwischenzeitliches Störfeuer, als etwa die Medien berichteten, Krug besitze nicht mal ein Telefon, konnte der Wirkung keinen Abbruch tun.
Hinzu kam der in Deutschland fast immer wirksame Freibier-Effekt: Mit dem günstigeren Emissionspreis für Klein- und Privatanleger, den garantierten Dividenden von 0,60 DM (1997) und 1,20 DM (1998) und den für 1999 versprochenen "Treueaktien" wurde suggeriert, jeder, der die T-Aktie nicht zeichne, verpasse etwas und lasse sich bares Geld entgehen. So gab es in den letzten Tagen der Zeichnungsfrist einen regelrechten "Run" auf die Bankschalter. Zum Schluß waren die deutschen Anleger bereit, mehr als 75 Milliarden DM für T-Aktien auszugeben! (Allerdings haben manche gewitzte Aktiensparer auch erheblich mehr Aktien bestellt, als sie haben wollten, um bei der rationierten Zuteilung besser abzuschneiden.)
Neben Manfred Krug war für die Telekom ihr Vorstandschef Ron Sommer der zweite große Aktivposten. Ob er die Telekom gut führt, kann man schwer einschätzen. Doch gelang es ihm blendend, dank seiner Auslandserfahrung und seiner Überzeugungskraft ausländische Investoren für die Aktie zu gewinnen.

Banken und Konditionen

Im Wettbewerb um Hunderttausende neuer Wertpapierkunden schenkten sich die Banken nichts. Die sonst abschreckend hohen Gebühren wurden speziell für die T-Aktie von vielen Instituten stark gesenkt.
Eine Münchner Telefonbank verzichtete sogar vollkommen auf Provision und Depotgebühr. Das Ergebnis: Das Geschäftsvolumen der Bank schnellte in die Höhe, die Zahl der wöchentlichen Anrufe explodierte von 18.000 auf 44.000, die total überlastete Telefonanlage mußte erweitert und neue Mitarbeiter eingestellt werden. Der clevere Schachzug dürfte sich trotzdem auszahlen: Tausende neuer Kunden dürften ja nicht nur T-Aktien, sondern auch andere Produkte der Bank nachfragen - und für die werden sie wie bisher zur Kasse gebeten.
Der Kursverlauf der T-Aktie seit dem 18. November hat hingegen nichts Überwältigendes an sich. Während am ersten Handelstag immerhin etwa 34 DM für die Aktie bezahlt werden mußte (ein schöner Zockergewinn für T-Aktien-Zeichner, die sofort verkauften), bröckelte der Kurs trotz einer im allgemeinen freundlichen Börsenstimmung langsam ab bis auf 30 DM, einem Niveau, bei dem laut häufig kolportierten Gerüchten die Emissionsbanken intervenieren würden. Nachdem sich die wichtigsten Telekom-Konkurrenzunternehmen durch dauernde Partnerwechsel selbst schwächten, konnte die T-Aktie immerhin wieder 32 DM erklimmen. Wie erwartet, waren die Kursbewegungen der Aktie im Vergleich zu anderen eher behäbig.
Im Mai endet die steuerliche Spekulationsfrist für die Erstzeichner. Wer danach seine T-Aktien verkauft, braucht für den möglicherweise eingetretenen Gewinn keine Steuern zu zahlen. Nicht auszuschließen, daß dann Tausende von Privatanlegern Kasse machen. Daß der T-Aktienkurs dadurch fällt, ist angesichts der Dominanz deutscher und ausländischer Profis an der Börse jedoch unwahrscheinlich.
Am 26. Juni findet in Frankfurt/Main die erste Hauptversammlung der privatisierten Telekom statt. Auch hier könnten alle bekannten Größenordnungen gesprengt werden: Einige Zehntausend Teilnehmer wären keine Überraschung. Auch hier werden Banken und besonders Aktionärsvereinigungen versuchen, sich zu profilieren.

Gewinn für den Standort

Ganz abgesehen von den Einzelheiten der Börseneinführung: Die Privatisierung der Telekom und die Zulassung von Wettbewerb ab 1998 haben das Unternehmen stark verändert. Das hat erfreuliche Folgen. So dürfte es der Telekom viel leichter fallen als zu Behördenzeiten, kompetente Ingenieure und Manager einzustellen.
Die Bundesbürger haben - je nach Schätzung - zwischen 4 und 6 Billionen (!) DM auf der hohen Kante. Wenn der Börsengang der Telekom dazu beiträgt, daß von diesem Kuchen ein etwas größerer Teil als bisher der Wirtschaft zur Verfügung gestellt wird, wäre das für alle von Vorteil - nicht nur für die (T-)Aktionäre.

G.D.