Politik

Die Folgen der Globalisierung

Bedeutet das Zusammenwachsen der Märkte das Ende unseres Sozialstaates?

Globalisierung ist derzeit wohl eines der meistgebrauchten Wörter im Sprachgebrauch von Politikern und Tarifpartnern. Für die einen ist sie ein Gespenst, welches nur dazu da ist, Sozialleistungen und Löhne in diesem Land zu kürzen. Für die anderen es die Rechtfertigung zu sein, in der Vergangenheit gemachte Fehlentscheidungen nun mit der Keule zu revidieren.

Ende des Sozialstaates?

Führt die Globalisierung der Wirtschaftsbeziehungen nun zum Ende des Sozialstaates? Wird uns in Zukunft der Rahmen dessen, was wir uns leisten können, von Nationen wie China, Korea oder Indonesien vorgegeben? Diese Fragen kann man nicht einfach mit ja oder nein beantworten.
Fakt ist: Deutschland ist ein Hochlohnland im internationalen Vergleich, und das ist in Ordnung. Es ermöglicht der Bevölkerung einen vergleichsweise hohen Lebensstandard und zwingt die Unternehmen dazu, kreativ und innovativ zu sein. Mit Billiglohnländern, auch wenn sie neuerdings direkt vor der eigenen Haustür sind, können und brauchen wir auch nicht zu konkurrieren. Ausschlaggebend für Investitionsentscheidungen ist der Regel nicht, wer der Billigste, sondern wer der Beste ist.
Es stellt sich aber zunehmend die Frage, ob wir die Besten sind. Die leidliche Diskussion um die Ladenschlußzeiten hat deutlich gemacht, wie starr und unflexibel unsere Gesellschaft geworden ist, und mit Lohnzuschlägen von 20% für Arbeit nach 18.30 Uhr hat man ja auch direkt dafür gesorgt, daß ja nur keine neuen Arbeitsplätze entstehen, damit man im Nachhinein Recht behält.

Deutschland zukunftsfeindlich?

Gentechnologie, Elektrosmog, Atomenergie...., die Liste der Reizwörter läßt sich beliebig fortsetzen. Selbst ein McDrive um die Ecke oder 20 Stunden Verkehrslärm im Jahr aufgrund von Fußballspielen sind für viele Menschen Grund genug, Bürgerinitiativen zu gründen und alle Rechtsmittel einzulegen, weil man sich offenbar tief in seinen Persönlichkeitsrechten eingeschränkt fühlt.
Wenn in unserem Land in vielen Betrieben die Abwesenheitsquoten doppelt und dreifach so hoch sind wie in vergleichbaren Branchen in Amerika oder Japan und das mit einer erstaunlichen Häufung an Freitagen und Montagen, so liegt dies doch wohl kaum daran, daß bei uns die hygienischen Verhältnisse oder die Gesundheitsfürsorge viel schlechter sind.
Bei vielfach 35 - 40 Stunden pro Woche und 30 Tagen Urlaub dürften wir wohl auch kaum mehr Streß haben als Beschäftigte in anderen Staaten. Wenn dann noch irgendwelche Soziologen, die in der Regel noch nie einen Betrieb von innen gesehen haben, Behauptungen aufstellen wie "in gut geführten Unternehmen, in denen die Mitarbeiter motiviert werden, sind die Abwesenheitsquoten geringer", so mag das vielleicht in manchen Fällen stimmen, aber man muß sich doch ernsthaft fragen, wie weit es mit dem Verantwortungsbewußtsein und der Leistungsbereitschaft in unseren Land eigentlich gekommen ist, wenn es offenbar in Ordnung ist, blau zu machen, weil der Chef einen nicht motiviert oder das Arbeitsklima nicht stimmt.
Das sind alles Punkte, die durch das Auftauchen neuer Wettbewerber und die hohe Mobilität des Kapitals binnen kurzer Zeit auf den Tisch gekommen sind und für die man Antworten finden muß, möglichst ohne ideologische Scheuklappen und Klassenkampfparolen.
Natürlich kann es nicht im Interesse der Menschen sein, von einer verselbständigten Weltwirtschaft regiert zu werden. Menschliche Gesellschaften, die nur durch Gewinnmaximierung und Wettbewerb zusammengehalten werden, sind auf Dauer genauso ohne Zukunft wie es die Gesellschaftsformen waren, in denen alle gleich sein sollten. Aber wir müssen anfangen zu begreifen, daß wir Deutschen nicht der Nabel der Welt sind.

Deutsche nicht der Nabel der Welt

Es ist fast schon eine Ironie der Geschichte, daß heute grüne und sozialdemokratische Öko- und Sozialapostel in die Welt hinausziehen und nach dem Motto: "Am deutschen Wesen soll die Welt genesen" anderen Ländern unsere Öko- und Sozialstandards vorschreiben wollen. Dies gelingt aber bereits schon nicht in Europa, geschweige denn in Asien, wo die Menschen ein vollkommen anderes Verständnis von gesellschaftlichem Zusammenleben haben.
Ist unser Sozialstaat aufgrund der Globalisierung somit am Ende? Das ist nicht der Fall und muß in Zukunft auch nicht so sein. Wir leben in Deutschland zwar nicht auf einer Insel, aber der internationale Wettbewerb kann allenfalls Rahmenbedingungen vorgeben, in denen wir eine Menge Gestaltungsfreiheiten haben. Unser Sozialstaat ist nicht vom Ausland abhängig, sondern einzig und allein von der Ergiebigkeit unserer Volkswirtschaft.
Solange die realwirtschaftliche Leistungsfähigkeit nicht durch übertriebene Umverteilungsmaßnahmen gefährdet wird, bleibt immer noch Spielraum für die jeweils national erwünschte Gestaltung von Sozialversicherungssystemen. Die Grundlage unseres Sozialsystems ist eigentlich nämlich sehr einfach. Die Beiträge können aus nichts anderem kommen als aus dem, was in unserem Land real erwirtschaftet wird. Wenn der Sozialstaat derzeit in Deutschland in Not gerät, so liegt das nicht an der Globalisierung, sondern einzig und allein daran, daß wir schon lange Zeit über unsere Verhältnisse leben, d.h. wir überfordern die reale Leistungskraft unserer Volkswirtschaft.
Die Probleme unseres Sozialstaates sind daher vielmehr struktureller Natur. Man lebt ungeniert auf Kosten der kommenden Generationen, die die aufgehäuften Schulden verzinsen und tilgen müssen. Wie dies angesichts der gleichzeitig steil ansteigenden Alterslast geschehen soll, ist die große Frage, auf die heute eine Antwort gefunden werden muß. Das mag zu starken Konflikten und Zerreißproben in unserer Gesellschaft führen, aber das ist alles nichts im Vergleich zu dem, was auf uns zukommt, wenn die Probleme weiterhin verschoben werden.
Die Gobalisierung der Wirtschaftsbeziehungen bedeutet nicht das Ende unseres Sozialstaates, aber sie legt Fehlkonstruktionen offen, die man bisher durch Staatsverschuldung und mit steigenden Beiträgen überdecken wollte. Wir sollten die Globalisierung daher eher als eine Chance begreifen.

Carsten Mooren