Politik

Sündenbock Beamter

Ist das Berufsbeamtentum wirklich so schlecht wie sein Ruf?

Wer sich heutzutage des öffentlichen Zuspruchs und Beifalls gewiß sein möchte, der zieht vorzugsweise gegen Politiker, Beamte und den Papst samt der katholischen Kirche zu Felde. Da ist es schon bemerkenswert, wenn innerhalb dieser Beliebtheitsskala ein Vertreter des untersten Ranges auf diejenigen einschlägt, die ihm bei dieser Bewertung in der öffentlichen Wertschätzung auf dem Fuß folgen, zumal wenn es sich dabei noch um ausgerechnet denjenigen Politiker handelt, in dessen ureigene Zuständigkeit die Beamtenschaft fällt.

Große Unkenntnis

Die Rede ist von Bundesinnenminister Manfred Kanther, so geschehen am 12. Januar dieses Jahres an einem Sonntagvormittag in der Sendung "halb 12" des ZDF, wo neben Kanther auch der Vorsitzende des Deutschen Beamtenbundes (DBB), Erhard Geyer, zu Gast war. Während sie sich über die Beamten im allgemeinen und besonderen auseinandersetzten, lief parallel dazu die unvermeidliche Telefonumfrage unter den Zuschauern. 30.000 Bundesbürger fühlten sich bemüßigt, zum Telefonhörer zu greifen.
Auf die Frage, ob die Beamten zu faul seien, äußerten sich 79% zustimmend. Gar 81% bejahten die Frage, ob es den Beamten zu gut gehe.
Nun darf man getrost hinterfragen, was der Deutsche Michel unter "dem" Beamten versteht. Verkörpert diesen der Ministerialdirigent eines beliebigen Bonner Ministeriums oder die zahlenmäßig weitverbreiteten Beamten des einfachen und vor allen Dingen des mittleren und gehobenen Dienstes? Was wissen die Bürger überhaupt über die von ihnen finanzierte Beamtenschaft?
Der Verfasser dieser Zeilen, zugegebenermaßen selbst verbeamteter Angehöriger des öffentlichen Dienstes, kann da so auf seine eigenen Erfahrungen im jahrelangen Publikumsverkehr in verschiedenen Dienststellen zurückblicken. Einer der verbreitetsten Irrglauben ist unter anderem der, daß Beamte weder Steuern noch Solidaritätszuschlag zahlen. Aber in der heutigen Zeit hält sich schon jeder für einen Fachmann in Sachen öffentlicher Dienst, der jemals seine Einkommensteuererklärung einem Bediensteten im Finanzamt persönlich in die Hand gedrückt hat, egal, ob es sich dabei um einen verbeamteten Sachbearbeiter gehandelt hat oder den als Arbeiter beschäftigten Pförtner.
Andererseits sollte man derart pauschal formulierte Fragen und deren Antworten auch nicht überbewerten. Die Frage, ob Autowerkstätten zu teuer seien und schlecht arbeiteten, würde eine beliebige Zahl von Autobesitzern wohl mit ähnlich zustimmenden Quoten beantworten.

Ersatz für Lohnfortzahlungskürzung

Vornehmste Aufgabe des den obersten Dienstherren verkörpernden Bundesinnenministers sollte es sein, bei allem durchaus berechtigten Reformbedarf sich vor seine Beamten, Angestellte und Arbeiter zu stellen. Statt dessen konnte man während besagter Fernsehdiskussion erleben, daß Manfred Kanther den im Vergleich zur gewerblichen Wirtschaft angeblich zu hohen Krankenstand unter den Angehörigen des öffentlichen Dienstes geißelte.
Nun ist es unbestritten ein löbliches Unterfangen, den Krankenstand im öffentlichen Dienst zu senken. Jedoch scheint Manfred Kanther bislang nicht verwunden zu haben, daß er bei der Durchsetzung des zuvor in Bundeskabinett und Bundestag unter seiner Mitarbeiter beschlossenen Kürzung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall für den öffentlichen Dienst scheiterte. Zahlreiche Arbeitgeberverbände schafften dies ja ebensowenig. Anders ist der Aktionismus unseres Innenministers nicht zu erklären.
Zunächst einmal kann der öffentliche Dienst nicht so ohne weiteres mit der gewerblichen Wirtschaft verglichen werden. Kriterium hierfür ist im wesentlichen die Altersstruktur der Beschäftigten. Aber gerade die gewerbliche Wirtschaft hat sich in den zurückliegenden Jahren auf Kosten der Steuer- und Beitragszahler von älteren Arbeitnehmern in großem Stil getrennt. Nicht zuletzt pries Kanther in der Fernsehsendung das Instrument der Krankenbesuche und sogenannter Rückkehrgespräche als probates Mittel, auf das Verhalten öffentlich Bediensteter einzuwirken.

Mangelnde Führungskompetenz

Als ob hier das Rad neu erfunden worden wäre! Wer hindert Vorgesetzte eigentlich daran, schon heute so zu verfahren? Führung und Motivierung sollten schließlich künftig das ihre dazu beitragen, die Kräfte des öffentlichen Dienstes zu mehr Präsenz am Arbeitsplatz anzuhalten. Die höheren Dienstgrade sollen verstärkt die Führung der niedrigeren Gehaltsgruppen wahrnehmen.
Ein hoher Krankenstand ist anerkanntermaßen Ausdruck mangelnder Führungsqualitäten und fehlender Motivation. Deswegen sollte sich dieses Führungspersonal mit seinem Minister an der Spitze zunächst einmal an die eigene Nase packen und ihr eigenes Unvermögen hinterfragen. Vielleicht verwechselt hier mancher Ursache und Wirkung. Bundesminister Kanther, der nicht müde wird, Bekenntnisse zugunsten des Berufsbeamtentums abzulegen, sollte durch kurzatmige Umtriebe nicht seine eigenen Leute verprellen und gleichzeitig denen zuarbeiten, die die Abschaffung des Beamtentums betreiben. Gerade er als Innenminister sollte bei aller notwendigen Kritik und Reformbedarf das Kind nicht mit Bade ausschütten.
Wenn Beamte und andere öffentlich Bedienstete schon zum Abschuß freigegeben werden, muß nicht unbedingt der Innenminister selbst zum Halali blasen.