Leverkusen

Immer dabei

Wird der "Konzern Stadt" eine Filiale der RWE?

Welche Überraschung! Nun läuft nach Zeitungsberichten doch alles auf eine Einverleibung der Abfallwirtschaftsgesellschaft Leverkusen (AWL) durch die Energieversorgung Leverkusen (EVL) hinaus.
Monatelang war in der Öffentlichkeit spekuliert worden, ob der Rausschmiß des früheren AWL-Chefs Bernd Welzenberg durch den Stadtrat mit dessen Opposition gegen einen Einstieg des Essener RWE-Konzerns bei der AWL zusammenhing. Dem sei nicht so, wurde eindringlich versichert. Man stehe allen Interessenten offen gegenüber.
Nun, das mag durchaus gestimmt haben. Vielleicht hat man sich für die EVL und damit für die zu 50% an der EVL beteiligte RWE entschieden, weil sie das ökonomisch beste Angebot machte. Und fest abgemacht ist die Sache ja auch noch nicht - aber so gut wie. Daß die RWE selbst sich direkt an der AWL beteiligen würde, schien seit längerem zweifelhaft.
Nach dem jetzigen Modell soll die EVL 98% der AWL übernehmen. Der Stadt behält direkt 2%. Da die Stadt zu 50% an der EVL beteiligt ist, bleibt ihr (durchgerechnet) eine Beteiligung von insgesamt 51% an der AWL, was von Anfang an politischer Wille in Leverkusen war. Die RWE kommt auf (durchgerechnet) 49% (vgl. Skizze auf der nächsten Seite).

Müll, Telefon, Software, Wasser, Strom und Gas

Als dies in der Zeitung stand, konnte man gleichzeitig lesen, daß die EVL (45%) gemeinsam mit der RWE (50%) eine lokale Telekommunikationsgesellschaft gründen will. Hintergrund ist der liberalisierte Telekommunikationsmarkt in Deutschland, denn 1998 fällt auch das Festnetzmonopol der Deutschen Telekom.
Die EVL verfügt dank ihres ausgedehnten Leitungsnetzes über die besten Voraussetzungen, ein alternatives Festnetz in Leverkusen zu installieren. Teilweise sind die Leitungen schon vorhanden.
Nach den Plänen der EVL sollen zuerst die städtischen Tochtergesellschaften und die Sparkassenfilialen vernetzt werden. Auf der Basis dieses Netzes will man in einem zweiten Schritt das Angebot auf gewerbliche Kunden ausdehnen (also der Telekom Konkurrenz machen) und in etwa zehn Jahren auch Privatkunden einbinden.
Die Entscheidung für die RWE als Partner war wohl kaum zu umgehen. Die RWE hätte als 50%iger Kompagnon niemals ein Zusammengehen mit einem anderen Konsortium als ihrem eigenen zugestimmt. (Neben RWE/Veba/Cable&Wireless gibt es noch Mannesmann/DBKomm/AT&T und VIAG/British Telecom.) Zeitungsberichte über die zukünftigen Konkurrenten der Telekom werden am Leverkusener Beispiel auch etwas erhellt. Wenn es von RWE etwa heißt, sie verfüge bereits über einige tausend Kilometer Leitungen, sind die der EVL selbstverständlich mitgezählt.
Nebenbei: Was halten wohl die Leverkusener Zeichner der T-Aktie davon, daß mit Hilfe ihrer Abwasser-, Strom- und wohl auch Müllgebühren und tätiger Hilfe der Stadt Leverkusen ein Telekom-Konkurrent aus dem Boden gestampft wird?

Dr. Mende: Interessenkollision?

Doch ist es wirklich klug, auch auf anderen Bereichen immer nur mit dem Essener Stromgiganten zusammenzugehen? Wäre es nicht prinzipiell intelligenter, für unterschiedliche Unternehmen auch unterschiedliche Partner zu wählen? Wenigstens die IVL und die AWL hätte man mit anderen Partnern betreiben sollen - schon allein um das Risiko zu streuen (RWE muß ja nicht immer so blendend verdienen wie heute; der europäische Strommarkt soll liberalisiert werden) und um Abhängigkeiten zu vermeiden.
Zudem setzt sich der Eindruck fest, daß die Zusammenarbeit Stadt-RWE für beide Seiten, besonders jedoch für die hiesigen Kommunalpolitiker, spezielle Reize hat. Leverkusens OB Dr. Mende ist auch designierter Vorsitzender des Verbandes kommunaler Aktionäre der RWE und außerdem Mitglied im RWE-Aufsichtsrat.
Es ist schon seltsam, daß angesichts dieser Kombination von staatlichen und privatwirtschaftlichen Ämtern bisher niemand die Frage gestellt hat, ob Dr. Mende gegenüber der RWE überhaupt noch die nötige Distanz besitzt. Für ehrgeizige Kommunalpolitiker hat sich ein RWE-Aufsichtsratsposten nicht selten als Sprungbrett für einen Top-Management-Posten in der RWE-Holding oder einer der Tochtergesellschaften entpuppt. (Die Stimmrechtsmehrheit bei der RWE liegt bei den nordrhein-westfälischen Kommunen.)
Es ist nicht die Absicht dieses Artikels, den Eindruck zu erwecken, Dr. Mende handele sozusagen als Beauftragter der RWE und plane, später dort Karriere zu machen - wie viele andere Kommunalpolitiker. Wir kennen seine Zukunftspläne nicht, und manche Entscheidung mag sich auch als vernünftig herausstellen. Zudem hält die RWE keine einzige Mehrheitsbeteiligung hier. Sollte es zu Konflikten kommen, hat die Stadt - jedenfalls auf dem Papier - durchaus eine starke Position.

Distanz zum Großkapital notwendig

Um so wichtiger wäre es, zum mächtigen Partner eine gewisse Distanz zu halten. Die Verlockungen sind enorm. Einem Konzern mit einem jährlichen Cash Flow von mehreren Milliarden Mark, mit dem die Leverkusener Gesamtschuldenlast gleich mehrfach zu tilgen wäre, mit besten Verbindungen auch zur Landespolitik und anderen Großunternehmen, hat viele Möglichkeiten, seine Interessen zu verfolgen - auch wenn sie nicht unbedingt mit den Interessen der Leverkusener Bürger zusammenfallen.
Müllentsorgung, Software, Gas, Wasser, Strom und jetzt auch Telekommunikation - was die Stadt Leverkusen auch gewinnbringend anbietet oder anbieten will, die RWE ist immer dabei. Es ist wirklich schade, daß es kein kommunales Kartellamt gibt.

G.D.