Satire

Europaliga

oder: Heute gehört uns Deutschland, morgen ...

München, Geschäftsräume des FC Bayern, nächste Saison. Präsident Franz Beckenbauer sitzt am Schreibtisch und betrachtet höchst unwillig mehrere Blätter Papier. Im Hintergrund ist eine Golfausrüstung zu erkennen.

Beckenbauer (greift zur Sprechanlage): Schicken S' mir doch mal bitte den Uli vorbei.
Hoeness (tritt ein): Was gibt's?
Beckenbauer: Der Spielplan für die nächste Saison, das gibt's. Schau dir mal die ersten Heimspiele an!
Hoeness: Rostock, Freiburg, Köln - immerhin! -, Bochum ... na und?
Beckenbauer (erregt): Schau an, wie es weitergeht! Bremen, Leverkusen und - sakra! - Meppen? Das soll wohl ein Witz sein?
Hoeness: Keineswegs. Die sind zur allgemeinen Überraschung aufgestiegen.
Beckenbauer: Zweite Liga, was interessiert mich die? Schlimm genug, daß man uns zumutet, im Pokal gegen Amateure spielen zu müssen ...
Vizepräsident Rummenigge (kommt herein und hat die letzten Worte mitgehört): Na und: Die SpVg Neuglashütten ist ein völlig harmloser Viertligist. Das schaffen wir schon.
Beckenbauer: Ja, aber warum machen wir denn den Kram hier? Doch nicht um Viertligisten zu beglücken! Und die Champions League wird auch immer lächerlicher.
Rummenigge: Das war eben Pech. Wer konnte denn ahnen, daß fast überall in Europa die Außenseiter Meister oder Zweiter geworden sind?
Beckenbauer: Aber schau dir die Namen in unserer Gruppe an! Deportivo La Coruna! Gegen den FC Barcelona oder meinetwegen auch Real Madrid hätte ich wirklich nichts gehabt, auch wenn beide Vereine ziemlich provinziell geworden sind. Aber was sollen wir mit Xamax Neuchatel anfangen? Der französische Fußball bringt doch keine Quoten!
Hoeness (räuspert sich): Entschuldige, Franz, aber Xamax ist Schweizer Meister. Du hast noch Glück gehabt - beinahe hätten wir gegen den FC Sitten -
Beckenbauer: Schöne Sitten! Aber der Hammer ist doch Legia Warschau! Wieder in den Ostblock: Langwierige Zollkontrollen, Wanzen auf den Hotelzimmern, kein fließendes Wasser und irgendwelche verdammten übermotivierten kommunistischen Halbprofis!

(Präsidiumsmitglied Fritz Scherer und Verwaltungsratsmitglied Edmund Stoiber treten ein.)

Hoeness: Na, schaun' mer mal.
Beckenbauer (immer erregter werdend): Jetzt werd' nicht frech! Wie sollen wir denn unsere Spieler bezahlen? Juventus, Manchester oder meinetwegen auch Mailand - das wär's gewesen! Statt dessen lost man uns zweitklassige Dorfvereine zu! Verdammt, wir sind doch der FC Bayern! Man kann uns doch nicht einfach mit Xamax, Legia und Deportivo abspeisen! Ganz Europa lacht doch über uns!
Scherer: Ganz Europa wird dann über uns lachen, wenn wir gegen diese "Dorfvereine" ausscheiden.
Beckenbauer: Warum? Der Ball ist rund, und ein Spiel hat 90 Minuten, wie ich immer sage. Ausscheiden kann man gegen jeden, auch gegen Neuglashütten. Das ist auch nicht so wichtig. Wichtig ist: Man muß sich das Ausscheiden auch leisten können! Wir können die Kalkulationsgrundlage des FC Bayern doch nicht auf den Zufällen des Fußballs aufbauen. Das ist im höchsten Grade unseriös!
Stoiber: Aber Fußball besteht nun mal zu 80% aus Zufällen. Schiedsrichter entscheiden falsch, Akpoborie und Helmer verletzt, Ziege meckert und sieht rot, Kahn hat einen schlechten Tag, die Mannschaft kommt mit dem Trainer nicht klar ... all das kann passieren.
Beckenbauer: Das darf aber nicht passieren. Schiedsrichter müssen richtig entscheiden, wenigstens im Zweifel für uns. Die Reservisten müssen mindestens so gut sein wie die Stammspieler. Und Herrn Cruyff biegen wir uns auch noch zurecht. Wer ist schließlich 1974 Weltmeister geworden? Er oder ich?
Rummenigge (grinst): Du, weil der Berti den Cruyff so gut gedeckt hat.
Beckenbauer: Willst du mir in den Rücken fallen? Unser spießiger Bundesberti! Der hat doch den Elfmeter verschuldet!
Stoiber (hüstelt): Entschuldige, aber wenn mich mein Gedächtnis nicht trügt, war das der Uli hier, nicht Herr Vogts.
Hoeness: Was sollte ich denn machen? Ihn durchlaufen lassen? Und außerdem hätte der Sepp den Ball ja halten können!
Torwarttrainer Sepp Maier (kommt herein): Ja Kruzitürken noch eins! Wer hat denn die Elfmeter gegen Polen und die CSSR verschossen?
Rummenigge: Ich sag' euch eins: 1982, gegen Frankreich, da ging's um die Wirst im Elfmeterschießen! Wer da nicht dabei war, kann überhaupt nicht mitreden. Ich dachte, der Torwart erwartet meinen Schuß links, also habe ich ...
Hoeness: Aber Weltmeister geworden bist du nie, ätsch!
Beckenbauer (gereizt): Ruhe!! Schluß mit der Fachsimpelei! Ich hab manchmal den Eindruck, als würden sogar einige von euch den FC Bayern immer noch als Fußballverein betrachten.
Scherer: Sehr richtig, außer Fußball gibt's bei uns ja auch noch Volleyball, Fechten, Speedwalking, Schach ...
Beckenbauer (seufzt tief): So meine ich das nicht. Natürlich geht's um Fußball, aber in erster Linie um die wirtschaftliche Zukunft und die Gewinnmaximierung des Unterhaltungsunternehmens FC Bayern München, Martführer in Deutschland.
Maier: Aber Meister ist doch Stuttgart.
Beckenbauer: Na und? Stuttgart setzt gerade mal 90 Millionen DM um, wir sind längst bei 150. Unser Cash-Flow liegt bei 20 Millionen, unsere Umsatzrendite ... Eigenkapitalquote ... operatives Ergebnis ... Abschreibungen ... Marktanteil ...(verliert sich in betriebswirtschaftlichen Details)
Stoiber: Wo liegt dann unser Problem, wenn wir ohnehin so stark sind und es egal ist, wer Meister wird?
Beckenbauer: Unser Stadion ist zu klein.
Rummenigge (verblüfft): Wir wollen es doch sowieso erweitern und überdachen, mit neuen VIP-Logen ausstatten -
Beckenbauer (mit wegwerfender Handbewegung): Wenn ich Stadion sage, meine ich damit ein virtuelles, elektronisches Stadion, nicht die paar Prols in rot-weißen Schals. 10.000 Zuschauer mehr - das sind Peanuts, um solche Kleinigkeiten kümmert sich der Uli. Im zukünftigen digitalen Fernsehen zahlen die Leute ganz gezielt nur für das Programm, das sie sich ansehen - und das gilt auch für Fußballspiele. In Zukunft sitzen unsere "Stadionbesucher" vor allem im Fernsehsessel - aber bezahlen trotzdem. (Gerät ins Schwärmen) Stellt euch vor: Ein gigantisches unsichtbares Stadion mit Millionen von Zuschauern und Milliarden-Einnahmen! Daher, und ich komme auf den Spielplan der nächsten Saison zurück, kann es nicht angehen, wenn wir auf Dauer gegen Zwerge antreten müssen, die wie Freiburg nicht mal einen bezahlten Manager haben. Das Geld wird nur fließen bei Gegnern wie ...
Hoeness: AC Mailand.
Maier: Real Madrid.
Stoiber: Ajax Amsterdam.
Scherer: Juventus Turin.
Rummenigge: Borussia Dortmund.
Beckenbauer (grinst): Die nicht ... Karl-Heinz, man merkt doch, daß du aus Westfalen kommst. - Ihr habt kapiert: Wir brauchen die Europaliga. 380 Millionen Einwohner, 90% davon sind Fußballfans.
Scherer: Und was werden die anderen Bundesligavereine sagen?
Beckenbauer: Sie werden vor Wut toben. Was juckt uns das? Glaubst Du etwa, die hätten ein Mitspracherecht? Oder der DFB? Diese Lachsäcke, die uns schröpfen, wo es nur geht!
Rummenigge: Bleibt noch das Problem Nationalmannschaft.
Beckenbauer: Glaubst Du im Ernst, daß es noch lange Nationalmannschaften geben wird, wenn es eine Europaliga gibt? Die Fußball-Weltmeisterschaft wird eben in Zukunft auch mit den besten Vereinen der Welt ausgespielt. Also der FC Bayern, Mailand, Rio, Santos, die Boca Juniors ... (kichert) Der Berti wäre zwar arbeitslos, aber hätte auch keinen Ärger mehr mit verletzten oder nicht freigegebenen Spielern. Und daß der Weltmeisterschaft, dieser kläglichen Ersatzlösung, auf mittlere Sicht die Weltliga folgen wird, brauche ich wohl kaum zu betonen.
Hoeness (verträumt): Wir könnten dann in allen Erdteilen Tochtergesellschaften gründen, die ebenfalls Meister werden, jedenfalls aber viel Geld einspielen. Denk' nur an Amerika: Ein riesiger, brachliegender Markt. Wenn wir dort die SC Bayern Muenchen Inc. gründen, mit unserem Know-How und unserem Standing, wird Fußball bei den Amis ganz automatisch populär. Denkt nur: Der FC Bayern als europäischer, brasilianischer, amerikanischer und vielleicht sogar nigerianischer Meister! Dann werden wir wirklich Geld verdienen ... (Tür wird aufgerissen, ein Vereinsangestellter drückt Hoeneß ein Blatt Papier in die Hand, der liest schnell ) Da schau her! Elber hat gekündigt.
Rummenigge: Warum? Nirgendwo sind die Bedingungen beser als bei uns!
Hoeness: Er gibt als Begründung nur an, daß die sportlichen Perspektiven bei Fortuna Düsseldorf (ungläubiges Grunzen von Beckenbauer) für ihn besser sind.
Rummenigge: Er muß verrückt geworden sein. Sportliche Perspektiven! Er verdient hier 8 Millionen im Jahr!
Scherer: Na ja, jeder Fußballspieler will wahrscheinlich das eine oder andere Mal auch spielen. Schließlich hat er sportlichen Ehrgeiz.
Beckenbauer (stöhnt): Fritz, du entnervst mich. Elber ist eben rückständig, ein Fossil. Worüber reden wir denn die ganze Zeit? Wir wollen den FC Bayern zukunftsfähig machen, wir wollen expandieren, Grenzen überschreiten, den Standort Deutschland attraktiv und populär machen, unseren Aktionären eine hohe Dividende bieten. Es wäre doch verrückt, und ich wiederhole mich gern, wenn wir diese Pläne von den Zufällen des Sports abhängig machen! (ironisch) Oder sollen wir etwa, weil die Herren Elber und Shearer gerade mal nicht so gut drauf sind, unsere Dividende kürzen? Soll unser Aktienkurs von den ärztlichen Bulletins über Maldini oder Dundee abhängen? Nein! Wenn der FC Bayern wachsen und gedeihen soll, kann er sich eines nicht mehr leisten: Diesen launischen, unberechenbaren Sport!

G.D.