Politik

Fluch oder Segen?

CentrO - Die Neue Mitte Oberhausen hat eröffnet

Am 12. September 1996 war es soweit: Nach nur zweijähriger Bauzeit konnte Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Johannes Rau wieder einmal das tun, was ihm als Lieblingsrolle nachgesagt wird: Umrahmt von einer volkstümlichen Bergmannskapelle (Glückauf, der Steiger kommt), galt es mit einer mindestens ebenso volkstümlichen Rede Oberhausens Neue Mitte, das Einkaufszentrum CentrO, zu eröffnen. Damit wurde der Öffentlichkeit ein Projekt übergeben, das in diesen Dimensionen bisher weder in der Bundesrepublik noch auf dem europäischen Kontinent so gab. Und in einer annähernd vergleichbaren Größenordnung so wohl auch nicht mehr geben wird. Denn nur das Ruhrgebiet als der größte Ballungsraum Europas mit seinem Einzugsgebiet entlang der Rheinschiene bis in die Niederlande und nach Belgien gibt das geeignete Umfeld für ein solches Zentrum überhaupt her.
Noch während der Entstehung der Neuen Mitte Oberhausen konnte man vom Dach des benachbarten Gasometers einen Blick auf die Baustelle des CentrO werfen und einen ersten Eindruck von den Ausmaßen gewinnen. Als zweitgrößte Baustelle Europas wurde die Neue Mitte nur vom Potsdamer Platz in Berlin übertroffen.

Zweitgrößte Baustelle Europas

Jener Gasometer, der dem Betrachter einen Ausblick bot, von dem die Pilger zu den Baustellen der Hauptstadt Berlin nur träumen können und in dem bis zum letzten Jahr die mittlerweile legendäre Ausstellung "200 Jahre Ruhrgebiet" stattfand, ist gleichzeitig das letzte Relikt, das heute noch an das alte Thyssen-Stahlwerk erinnert, auf dessen Gelände das CentrO errichtet wurde.
Nach der Aufgabe der Stahlproduktion handelte es sich bei dem Grundstück um eine Industriebrache, wie es viele über das ganze Ruhrgebiet verteilt heute noch gibt.
Mit dem Bau der Neuen Mitte konnte, was in dieser Form bislang ebenfalls einmalig sein dürfte, die gesamte zur Verfügung stehende Fläche auf einem Schlag einer neuen Nutzung zugeführt werden. In der Regel zieht sich der Prozeß der Umwidmung bzw. Vermarktung solcher Brachen, wenn denn ihre Räumung und Sanierung erst einmal abgeschlossen ist, über Jahre, mitnunter Jahrzehnte hin. In Leverkusen läßt sich dies trefflich am Beispiel des ehemaligen Wuppermanngeländes, dem künftigen Innovationspark, nachvollziehen.

Heftig umstritten

Die Entscheidung für dieses Großprojekt war bereits im Vorfeld heftig umstritten. Schließlich ist nicht nur die Stadt Oberhausen mit ihren angrenzenden Nachbarstädten von der Entwicklung und den Auswirkungen des CentrO betroffen, sondern gleich die gesamte Region von Niederrhein bis hin nach Westfalen.
CentrO, die Neue Mitte, ist freilich weit mehr als nur ein einziges, riesiges Einkaufszentrum herkömmlichen Typs, die man zuweilen in bescheideneren Größenordnungen eben mal auf die berühmte "grüne Wiese" vor die Tore einer Stadt setzt.
Vielmehr ist es auch ein Veranstaltungszentrum, Sport- und Freizeitanlage, Kinokomplex sowie nicht zuletzt Büro- wie Gewerbepark, wenngleich die Bereiche Parken und Einkaufen nebst Gastronomie insgesamt den breitesten Raum einnehmen. Die 10.500 kostenfreien Parkplätze dienen ebenso den Besuchern von Veranstaltungen in der Arena Oberhausen, einer Multifunktionshalle mit 11.500 Sitzplätzen, die in die Neue Mitte integriert ist.

10.500 kostenfreie Parkplätze

Das CentrO kann im direkten Umkreis über zwölf Autobahnanschlüsse angefahren werden. Aber selbst die Nutzer des öffentlichen Personennahverkehrs erreichen die Neue Mitte per Bus und Straßenbahn tagsüber im 90-Sekunden-Takt. Die futuristisch gestaltete Haltestelle in der Mitte des CentrO wird über eine von Bus und Bahn gemeinsam genutzte Hochtrasse angesteurt - Voraussetzungen, die wesentlich über Erfolg oder Mißerfolg des CentrO entscheiden.
Über Geschmack läßt sich wahrlich trefflich streiten, und beim Rundgang über das Gelände kommen dabei auch die unterschiedlichsten Geschmacksrichtungen auf ihre Kosten. Rund 200 Geschäfte und Boutiquen in nobelster Einkaufspassage schließen an den Treffpunkt des CentrO an, der sogenannten Coca-Cola-Oase mit über 20 Imbißeinrichtungen, wo man bei Live-Unterhaltung auf der Videowand seinen Hunger in einem Umfeld stillen kann, das von der Gestaltung an das Phantasialand erinnert.
Der CentrO-Park hingegen ist im Stil eines Japanischen Gartens angelegt. Auf der Promenade ist nahezu jede Form der Gastronomie von der Kneipe über den Szenetreff bis hin zum kulinarischen Freßtempel zu finden.
Auffallend ist, daß man auf dem gesamten Areal ständig auf Servicepersonal stößt. Mit Schaufel und Besen ausgestattete Kräfte sind auf Schritt und Tritt damit beschäftigt, jede kleine Verunreinigung sofort zu beseitigen. Aufsichtspersonal vermittelt nicht nur scheinbar das Gesicht ständiger Sicherheit.

Kinderparken

Insgesamt bietet das CentrO selbst dem Kenner glitzerndster Einkaufspassagen in Hamburg oder Düsseldorf ein gänzlich neues Einkaufsfeeling (um einmal mehr einen Begriff aus dem Neudeutschen zu verwenden), wie man es bisher nicht gekannt hat. Für den ungetrübten Einkaufsgenuß kann man nicht nur sein Auto abstellen, sondern gegen einen entsprechenden Obolus sein Kind im CentrO.Kinderland "parken". Bis zu drei Stunden können die lieben Kleinen von Erzieherinnen mit Fachausbildung betreut und notfalls die Eltern mittels Pieper diskret zurückgerufen werden, sollten die Betreuer einmal pädagogisch überfordert sein.
Alles in allem stellt die Neue Mitte ein eigenes Zentrum dar, in dem alles im Zeichen von Dienstleistung und Handel steht und nur die Bereiche Wohnen und Produktion ausgeklammert sind. Die Zukunft nach der Anlaufphase und dem Weihnachtsgeschäft, wenn der Reiz des Neuen erst einmal verblaßt ist, wird zeigen, ob das Konzept an sich aufgeht - also ob das CentrO auf seine Kosten kommt (sich rechnet) und sich die Auswirkungen für die Einkaufsmeilen und gewachsenen Einzelhandelsstrukturen in Oberhausen und anderen Städten des Reviers in verkraftbaren Grenzen halten.

Neues Highlight oder Investitionsruine?

Denn zu Umbrüchen wird es zweifelsohne kommen. Dies äußert sich bereits in zurückgehenden Ladenmieten. Außerdem dürfte Oberhausen der Stadt Essen, die bislang als die klassische Einkaufsmetropole an der Ruhr galt, den Rang ablaufen.
Natürlich entbehrt es nicht einer gewissen Pikanterie, einen derartigen Konsumtempel in einer Region mit 15% Arbeitslosigkeit zu eröffnen. Aber gleichzeitig beinhaltete die Neue Mitte wirtschaftliche und stadtentwicklungspolitische Chancen, wie sie sich nie mehr geboten hätten. Im Falle des Scheiterns würde CentrO neben einer Investitionsruine auch einen gewaltigen Flurschaden im Selbstverständnis unserer Konsumgesellschaft hinterlassen.

U.M.