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Obelix auf Kreuzfahrt

"Du bist als Säugling in den Kessel
gefallen. Deshalb hält die Wirkung
für immer an. Mehr davon zu
trinken wäre gefährlich!"

Der Druide Miraculix zu Obelix
in "Asterix der Gallier" (Band 1)

"Die eigentliche Inkarnation des Anti-Logos ist, getreu seiner Signalisation im Katalog der Epenhelden, der instinktgetriebene Obelix. (...) Alle Finten, Intrigen, diplomatischen Versteckspiele, die über die Elementarsphäre des Vitalen hinausweisen, kurzum die subtile Architektur der verstandesgelenkten Entscheidungen gerät durch seine 'Querschüsse' immer wieder ins Wanken."
André Stoll, "Asterix - das
Trivialepos Frankreichs", S. 88f.

"Ich will Wildschweine essen und Römer verhauen wie früher!"
Obelix in "Obelix auf
Kreuzfahrt" (Band 30)

Vier Jahre nach dem letzten Asterix-Abenteuer (Asterix und Maestria) ist nun im Herbst dieses Jahres der 30. Band des Gallier-Epos erschienen. Noch immer werden Asterix, Obelix, Miraculix, Majestix und Co. von römischen Legionen "belagert", noch immer wehren sie sich mit Hilfe des Zaubertranks des Druiden, der übermenschliche Kräfte verleiht.
Zum sechsten Mal produzierte Asterix-Zeichner Albert Uderzo einen kompletten Band ohne René Goscinny, den Texter, der 1979 gestorben war. Das Ergebnis kann sich sehen lassen.
Obelix, der einzige Dorfbewohner, der das kraftspendende Elixier nicht benötigt, weil er als kleiner Junge in einen randvollen Zaubertrank-Topf gefallen war, aber in fast jedem Heft seit Start der Serie trotzdem seinen Anteil - vergeblich - verlangt, ist diese Demütigung leid. Anstatt mit seinen Freunden einen fast schon routinemäßigen Überfall auf die benachbarten Römerlager mitzumachen (was er sich normalerweise nicht entgehen läßt), plündert er heimlich die Zaubertrank-Vorräte des Druiden - mit verheerenden Folgen ...
Gleichzeitig haben Sklaven auf Cäsars Galeere gemeutert und suchen einen sicheren Fluchtort. Fast selbstverständlich kommt hierfür nur das gallische Dorf unserer Helden in Frage. Die Römer verfolgen die vom Sklaven Spartakis geführte, multikulturell besetzte Galeere hartnäckig, jedoch ziemlich glücklos, so daß sie bald dringend eine gallische Geisel als Austauschobjekt gegen das Schiff samt Besatzung benötigen.
Da fällt ihnen ausgerechnet der wegen der Nebenwirkungen des übermäßigen Zaubertrankgenusses hilflose Obelix in die Hände, mit dem sie prompt auf "Kreuzfahrt" gehen - Richtung Rom, verfolgt vom Sklavenschiff mit Miraculix und Asterix an Bord, die ihren wehrlosen Freund befreien wollen.
Witzig, dynamisch, die Zeichnungen auf gewohnt hohem Niveau - der neue Band braucht sich vor den vielen fast legendären Vorgängern keineswegs zu verstecken. Diesmal versucht Uderzo jedoch nicht, gesellschaftliche Phänomene wie den Feminismus auzuspießen, wie er es im letzten Band tat, sondern setzt ganz auf Abenteuer und Action.
Auf bestimmte regelmäßig auftretende Motive und Figuren braucht der Leser nicht zu verzichten. Natürlich werden die Piraten wie üblich versenkt - was den alten einbeinigen Pirat vor lauter Entsetzen dazu bringt, nach dem zweiten Schiffbruch den fälligen lateinischen Sinnspruch dem Kapitän zu überlassen. Das Einflechten bekannter Personen der Zeitgeschichte, meist Schauspieler, ist ebenfalls Tradition. Diesmal ist es Kirk Douglas (als Spartakis), dem der Band auch gewidmet ist (früher konnte man etwa Jean Gabin, Stan Laurel, Oliver Hardy, Lino Ventura, die Beatles, die Freiheitsstatue, Sean Connery oder gar Giscard déstaing entdecken).
Manche Motive kommen einem allerdings ein bißchen zu altbekannt vor. Neben- und Nachwirkungen der Zaubertränke des Druiden spielen in Gallier, Goten, Kleopatra und im großen Graben eine Rolle. Das Geiselmotiv ist altbekannt aus Spanien und - abgewandelt - Gladiator. Einen Sklavenaufstand findet man in Form eines antiken Tarifkonflikts in der Trabantenstadt. Auch manche Gags, wie etwa die Verwendung des Wortes "antik" für "modern", was zweifellos ein witziges Paradoxon ist, deuten darauf hin, daß Uderzo die alten Bände zwar nicht kopiert, aber weidlich ausgeschlachtet hat.
Das hat natürlich auch positive Seiten, denn einmal ist nicht jeder Asterix-Leser ein Sammler, und zudem gerät Uderzo nicht in Gefahr, den eigentlichen Charme der Reihe zu zerstören. Der liegt einmal in ihrer Widersprüchlichkeit - die Römer werden zwar als gnadenlose Besatzungsmacht gegeißelt und ihnen der Heldenmut der Gallier gegenübergestellt; doch beides wird gleichzeitig überzeichnet, überspitzt und der Lächerlichkeit preisgegeben (man denke nur an die Abenteuer der Gallier, die nur auf ihre Dummheit oder Trunksucht zurückzuführen sind, wie etwa Kupferkessel, Streit oder Lorbeeren) - und zum anderen in ihrem Facettenreichtum, der Asterix zum Lesefutter breitester Schichten macht: Vorpubertierende Jugendliche erfreuen sich an den aus ihren Sandalen geschlagenen römischen Legionären; Altphilologen sind entzückt, wenn sie lateinische Brocken, Kunstbegeisterte, wenn sie eine Rembrandtparodie (Seher) finden.
Hat Asterix seinen Zenit überschritten? Ja, sicher. In den besonders fruchbaren Jahren 1965 bis 1974, zwischen Kleopatra und Geschenk des Cäsar, kamen jährlich im Schnitt meist zwei Bände auf den Markt. Jetzt schafft Uderzo nur noch alle vier Jahre ein Heft. Daß Asterix, zu Obelix' und des Lesers Entsetzen, am Anfang des aktuellen Bandes mit der Idee eines Friedens mit den Römern spielt, läßt auf eine gewisse Müdigkeit des Schöpfers schließen.
Und das Fehlen des brillanten Texters Goscinny, dem Uderzo auf den Anfangsseiten auf Kosten der traditionellen Vorstellung der "Helden" ein Denkmal gesetzt hat, macht sich natürlich bemerkbar.
Die fast spielerische Einflechtung bestimmter moderner Erscheinungen gelingt Uderzo allein längst nicht so gut - er weicht lieber ins Märchenhafte aus, wie in Morgenland und in diesem Band besonders deutlich wird. Früher waren Resisitance und Kollaboration, Jugendkultur, die (modernen!) Schrullen anderer europäischer Völker, Streiks, Präsidenten-Wahlkämpfe, modernes Theater, Staus, Technokraten, Manager, neureiche Spießer, Aberglauben und viele andere moderne Phänomene und Verhaltensweisen Ziel von Goscinnys und Uderzos Spott. Diese Tradition hat der allein textende Uderzo zwar nicht aufgegeben, wie Asterix und Maestria zeigt, aber er tut sich damit schwerer. (Man muß aber beachten, daß - folgt man dem oben zitierten André Stoll - bis zu 70% der Bildparodien und Wortspiele bei Asterix zwangsläufig bei der Übersetzung in eine andere Sprache verlorengehen.)
Trotzdem: Von 1959, als Asterix der Gallier in einer bescheidenen Auflage von 6000 Exemplaren startete, über Asterix und Kleopatra, dem fünften (nicht etwa zweiten!) Band, der mit einer Anfangsauflage von einer Million den endgültigen Durchbruch brachte, bis heute, wo Obelix auf Kreuzfahrt mit 8,2 Millionen Exemplaren unters Volk gebracht wurde und in manchen Buchhandlungen dennoch Wartelisten eingerichtet werden mußten, ist die Asterix-Reihe die Krönung der Comic-Kunst.
Auch zeichnerisch gilt das, wenn Uderzo wie ein Kameramann aus unterschiedlichsten Perspektiven mit "Zoom"- und Lichteffekten arbeitet und dank eines gekonnten "Schnitts" das Tempo der jeweiligen Handlung geschickt drosselt oder forciert. Uderzo macht, wie er sagt, im Gegensatz zu den meisten anderen Comic-Zeichnern mit Ausnahme der Kolorierung (er ist farbenblind) alles selbst.
Man merkt's und ist erfreut, daß es dem Autor um die Qualität und weniger ums Geld geht. Davon hat er allerdings auch längst genug.

G.D.