Politik

Anmerkungen zum Standort Deutschland

Keine Frage, die Diskussion um den Standort Deutschland ist in diesen Zeiten die standortbestimmende Frage schlechthin. Spätestens seit dem Wegfall des eisernen Vorhangs ist es offensichtlich, daß es so wie bisher nicht weitergehen kann. Niedriglohnländer liegen nicht mehr irgendwo in Fernost, sondern direkt vor der Haustür.
Die Globalisierung schreitet ohnehin voran, und der Staatshaushalt ächzt unter dem unabweisbaren Finanzbedarf, der sich aus dem Aufbau in den fünf neuen Bundesländern ergibt. Die anhaltend hohe Arbeitslosigkeit belastet die öffentlichen Haushalte zusätzlich, während gleichzeitig die strengen Kriterien von Maastricht erfüllt werden sollen, um einer gemeinsamen europäischen Währungsunion ab 1999 beitreten zu können.

Sparpaket

Das "Programm für mehr Wachstum und Beschäftigung", treffender unter der Bezeichnung "Sparpaket" in der Diskussion, geht den Gewerkschaften zu weit, während Wirtschaft und Industrie darin nur einen ersten zaghaften Schritt zum Umbau der Bundesrepublik sehen.
Dabei machen es sich Unternehmen bei der Standortdiskussion doch zunächst einmal ziemlich einfach. Man kann die Auseinandersetzung eben nicht nur ausschließlich vor dem Hintergrund der zugegebenermaßen hohen Kosten des Faktors Arbeit in Deutschland führen. Mit dem gemeinsamen Wehklagen läßt es sich ja auch hervorragend vom eigenen nur bedingten Erfolg um die Sicherung des Standortes Deutschland ablenken.

"Nieten in Nadelstreifen"

Nehmen wir den Vorstandsvorsitzenden der Daimler-Benz AG, Jürgen Schrempp, der seinen Aktionären eine Verzinsung des eingesetzten Kapitals von 12 Prozent als Untergrenze verkündet. Wer damit das Shareholder-Value-Prinzip (daß nämlich das Management zuallererst für die Wertsteigerung des Unternehmens sorgen muß) zur Maxime erhebt, verabschiedet sich sogleich ein Stück weit von seiner gesellschaftlichen Verantwortung und hergebrachten Ethik eines Unternehmers.
War es nicht der Vorgänger Schrempps im Amt, Edzard Reuter, der mit seiner Vision eines Technikkonzerns zu Wasser, zu Lande und in der Luft ein Traditionsunternehmen wie die AEG von der Bildfläche verschwinden ließ und damit letztlich Tausende von Arbeitsplätzen vernichtete? Da kommt einem schon, frei nach dem gleichnamigen Buchtitel, das geflügelte Wort von den Nieten in Nadelstreifen in den Sinn.
Es spricht ebenso für die Arroganz und Selbstherrlichkeit einer bestimmten Managerkaste, wenn ein Hilmar Kopper von der Deutschen Bank nach der spektakulären Pleite des Baulöwen Schneider die Affäre mit dem Vergleich von Peanuts vom Tisch wischt. Immerhin Peanuts in Höhe von 50 Millionen Mark.
Ebenso ließen sich die Banken im Falle des Sportbodenherstellers Balsam über Jahre hinters Licht führen. Zwar standen wie im Fall Schneider auch hier die Banken ein, aber eben nicht mit dem Geld der jeweiligen Vorstände, sondern mit dem ihrer Kunden und Aktionäre.

Nicht auf eigenes Risiko

Der klassische Unternehmer unterscheidet sich vom Manager neuen Typs eben immer noch darin, daß er mit seinem eigenen Risikokapital agiert und haftet. Wenn Wirtschaft und Industrie die Vollkaskomentalität unserer Gesellschaft und damit insbesondere der Arbeitnehmer beklagen und einhellig mehr Selbstverantwortung des Einzelnen einklagen, so mögen sie damit durchaus recht haben. Man kann aber nicht den Rückzug des Staates fordern, der lediglich die marktwirtschaftlichen Rahmenbedingungen gewährleisten, aber ansonsten alles dem freien Spiel der Kräfte des Marktes überlassen soll, und dann aber den gesetzlichen Eingriff in die Tarifautonomie verlangen.

Lohnfortzahlung: Arbeitgeber doppelzüngig

Denn die Kürzung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall auf 80% des vollen Lohnes bedarf eines neuen Tarifabschlusses mit vorhergehender Kündigung bestehender Tarifverträge, sofern in denen nicht auf die gesetzlichen Regelungen Bezug genommen wird.
Überhaupt die Tarifverträge. Man beklagt sich gern und laut über die in der Vergangenheit zu hohen Abschlüsse. Doch die tragen immer noch die Unterschrift beider Tarifparteien. Insofern hat die Bundesregierung die Arbeitgeberschaft konsequenterweise auch nicht aus ihrer Verantwortung entlassen und keinen Systembruch begangen, der einem Angriff auf die Tarifautonomie gleichgekommen wäre.
Und siehe da: Während Daimler-Benz mit der Kürzung der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall ab 1. Oktober Ernst macht, schreibt der Einzelhandel in verschiedenen Bundesländern die volle Entgeltfortzahlung in neu ausgehandelten Tarifverträgen fest - wenige Tage nur, nachdem mit der Kanzlermehrheit im Deutschen Bundestag die gesetzlichen Voraussetzungen für eben diese Kürzung bei der Lohnfortzahlung geschaffen wurde. Hier darf dann aber ruhig einmal die Vehemenz der Aussagen aus dem Arbeitgeberlager hinterfragt werden. Man soll sich dabei nicht in die eigene Tasche lügen.

Gentechnik, Steuern, Ladenöffnungszeiten...

Über die Kostenschiene wird der Standort Deutschland den Wettbewerb mit unseren Nachbarn Polen oder Tschechien ohnehin nicht entscheiden können. Kosten sind nur ein Kriterium unter anderen, wenn auch ein wesentliches. Die Zukunft unseres Landes entscheidet sich ebenso an der Frage über die Dauer von Genehmigungsverfahren, Abbau bürokratischer Hürden und der Akzeptanz neuer Verfahren und Technologien. Stellvertretend sei hier nur die Gentechnik genannt.
Die allzu zaghafte Lockerung der Ladenöffnungszeiten ist ein weiterer Aspekt. Fortan sind auch die modifizierten Öffnungszeiten im europäischen Vergleich nur sehr eingeschränkt dazu geeignet, die Ansprüche zu erfüllen, die an eine sich immer mehr zur Dienstleistungsgesellschaft wandelnden Volkswirtschaft gestellt werden.
Der allseits geforderte Umbau des Sozialstaates muß einhergehen mit einer Reform des Steuer- und Abgabenwesens, die diesen Namen auch verdient. Es kann nicht angehen, daß wie in diesem Sommer eine solche Reform und Entlastung der Bürger und Unternehmen mit einer Auseinandersetzung über die Erhöhung der Mehrwertsteuer eröffnet wird. Schließlich darf nach den Worten des Stuttgarter Oberbürgermeisters Manfred Rommel eine Steuerreform nicht aus jenen fünf Phasen bestehen: Bombastische Ankündigung, mühevolle Verwirklichung, allgemeine Enttäuschung, der Suche nach den Schuldigen und letztendlich Bestrafung der Unschuldigen (Steuerzahler).