Politik

Nur ein kleiner Schritt

Bosnien-Herzegowina nach den Wahlen

Der Tag sollte der große Neubeginn sein. Nach dem Friedensabkommen von Dayton sollte mit der Durchführung der ersten freien Wahlen in Bosnien-Herzegowina nach dem Krieg der Abzug der IFOR-Truppen beginnen. Die Bürger des Balkanstaats sollten sozusagen in die demokratische Selbständigkeit entlassen werden.
Nun, am 14. September fanden tatsächlich Wahlen in der ehemaligen jugoslawischen Teilrepublik statt. Es blieb am Wahltag auch durchaus friedlich. Und dennoch waren die Umstände, unter denen die Wahlen abgehalten wurden, weit von dem entfernt, was das Dayton-Abkommen vorgesehen hatte.

Bewegungsfreiheit

So sollte jeder an dem Ort wählen können, wo er vor dem Krieg gewohnt hatte. Diese Regelung war von den Initiatoren des Friedensvertrags vorgesehen worden, um den Folgen der "ethnischen Säuberungen" entgegenzuwirken. Sie erwies sich jedoch als Utopie. Zum einen gab es Manipulationen bei der Registrierung der Wähler. So sollten bosnisch-serbische Flüchtlinge in Orten wählen können, wo sie vor dem Krieg nie gemeldet waren. Die serbischen Behörden versuchten, mit diesem Trick künstlich Mehrheiten für ihre Volksgruppe zu schaffen. Aus diesem Grund wurden die gleichzeitig mit den Wahlen zum Staatspräsidium angesetzten Kommunalwahlen auf einen späteren Zeitpunkt verschoben.
Zum anderen war die im Dayton-Abkommen verlangte Bewegungsfreiheit für die Wähler nicht gewährleistet. Flüchtlinge, die in ihre Dörfer zurückkehren wollten, wurden mit Waffengewalt wieder vertrieben, weil dort inzwischen eine andere Volksgruppe das Sagen hatte. Durch derartige Ereignisse eingeschüchtert, trauten sich auch nur wenige Wahlberechtigte am Wahltag selbst über die Demarkationslinie zur Stimmabgabe in der alten Heimat. Nur 14.000 wagten den Schritt über die "Grenze", obwohl es 600.000 hätten sein können. Da halfen auch von den IFOR-Truppen gesicherte Korridore und Sonderbusse nichts. In Srebrenica, einer ehemaligen Moslem-Schutzzone, in der die serbischen Eroberer grausame Massaker an Zivilisten verübten, füllte ein einziger Moslem seinen Stimmzettel aus.

Zweifelhafte Persönlichkeiten

Auch die, die zu wählen waren (und auch gewählt wurden), sind kaum Garanten für eine friedliche und demokratischen Zukunft Bosnien-Herzegowinas. Es sind die gleichen nationalistischen Parteien der einzelnen Volksgruppen, die auch die letzten Wahlen vor dem Krieg gewonnen hatten. Sie alle hatten durch ihre Politik maßgeblich daran Anteil, daß es überhaupt zu dem grausamen Krieg mit Tausenden von Toten, Flüchtlingen, Opfern von Vergewaltigung und Folter kam.
Die Repräsentanten der Parteien machen teilweise selbst in der Öffentlichkeit keinen Hehl daraus, wie wenig sie von einem geeinten, demokratischen Bosnien-Herzegowina halten. Die Karadzic-Nachfolgerin Plavsic sprach sich noch unmittelbar vor der Wahl offen für die Spaltung aus (was nach Dayton verboten ist). Erst nach dem die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) mit dem Ausschluß von Plavsics Partei SDS von den Wahlen drohte, widerrief sie ihre Aussagen. Auch die islamistischen Parolen von Alija Izetbegovic, dem Kandidaten der muslimischen Partei, werden wieder publiziert. Es wurden bereits Fahnen der "Hamas"-Terroristen in Sarajewo gesehen.

Besser als gar nichts

All dies sind wahrlich keine Vorboten für eine gute Zukunft. Es galt deswegen auch schon lange als offenes Geheimnis, daß die NATO-Truppen keineswegs nach dem Wahltag abziehen würden. Inzwischen spricht der Bosnien-Beauftragte der EU, Carl Bildt, offen von mindestens zwei Jahren, die fremde Truppen in dem Balkanstaat noch bleiben müßten, um den Frieden zu gewährleisten.
Und dennoch: Die Wahlen könnten ein Schritt in die richtige Richtung sein. Wer hätte denn wirklich erwarten können, daß die Bürger eines Landes ohne demokratische Tradition völlig problemlos dem von der Weltöffentlichkeit gewünschten Idealbild hätten folgen können? Ist es nicht schon ein riesiger Erfolg nach den zahllosen geschlossenen und wieder gebrochenen Waffenruhen der letzten Jahre nun wirklich nicht mehr geschossen wird?

Künstliche Barrieren

Die Demokratie braucht Zeit in Bosnien-Herzegowina. Wenn die Menschen den Wiederaufbau anpacken, wenn wieder Arbeitsplätze entstehen, dann kommen die ehemaligen Kriegsgegner auch wieder auf andere Gedanken. Dann werden die Parolen der nationalistischen Scharfmacher (hoffentlich) ungehört verhallen. Das Ausland muß dafür sorgen, daß die gemäßigten Kräfte entsprechend mit Wiederaufbau-Hilfe unterstützt werden. Und dafür, daß Bosnien-Herzegowina ein wirklich unabhängiger selbständiger Staat wird, frei vom Einfluß der Mächte mit großserbischen und großkroatischen Gelüsten aus den Nachbarstaaten.
Vieles von dem, was während des Krieges zwischen den bosnischen Volksgruppen an Emotionen ausbrach, war von außen hereingebracht. Die Feindschaften wurden künstlich aufgebaut. In Wahrheit sind Kroaten, Serben und Moslems in Bosnien-Herzegowina weiterhin viel enger miteinander verbunden und aufeinander angewiesen, als manchen Politiker recht ist. Ein Beispiel? Der Vertreter des kroatischen Bevölkerungsteils im neuen Staatspräsidium, Kresimir Zubak, ist mit einer Serbin verheiratet.

M.W.