(Oktober 1996) POLITEIA 165 (Oktober 1996)/ Leverkusen

Politik

It's T-Time

Vor dem größten deutschen Börsengang aller Zeiten

Wer Aktien und Akazien nicht auseinanderhalten kann, Dividenden für den Nenner eines Bruches und die Börse für einen Geldbeutel hält, mußte in den letzten Monaten schmerzlich erkennen, daß eine Lücke in seiner Allgemeinbildung klafft.
Die Teilprivatisierung und der damit verbundene Börsengang der Deutsche Telekom AG, vormals die Telefonbehörde der Bundespost, wirft in Form einer millionenschweren Werbekampagne ihre Schatten voraus. Ziel dieser Kampagne sind viele Millionen deutsche Sparer, die überzeugt werden sollen, Telekom-Aktien zu kaufen. Eingespannt in diesen Feldzug ist so gut wie das ganze deutsche Bankenwesen.
All dies ist die Endphase einer langfristig angelegten, äußerst weitsichtigen Politik, die vom ehemaligen Postminister Christian Schwarz-Schilling eingeleitet wurde. Die Behörde Bundespost wurde dreigeteilt - Post, Postbank und Telekom -, diese Teile nach und nach in Aktiengesellschaften umgewandelt und für die Privatisierung und den Börsengang hergerichtet, wobei die Telekom als mit Abstand wichtigster und wertvollster Teil des Trios den Anfang macht.

Wem nutzt es?

Doch was heißt das eigentlich: "an die Börse gehen"? Wem nutzt es? Was geschieht mit den Anteilen des Bundes? Welche Chancen und Risiken bergen die "T-Aktien"? Soll man welche kaufen?
Die Telekom ist zur Zeit noch eine Aktiengesellschaft, deren Grundkapital zu 100% dem Bund gehört. Dieses Kapital besteht aus sage und schreibe 2 Milliarden Stück 5-DM-Aktien. (Zum Vergleich: Bayer hat als bisher grundkapitalstärkste deutsche AG nur etwa 700 Millionen 5-DM-Aktien in der Bilanz stehen.)
Würde der Bund nun diese Aktien verkaufen, hätte zwar der Finanzminister, nicht aber die Telekom selbst etwas davon. Daher behält der Bund vorerst (bis zur Jahrtausendwende) sein Aktienpaket.
Statt dessen gibt die Telekom 500 Millionen Stück neue Aktien aus. Der Gegenwert dieser neuen Aktien fließt ungeschmälert dem Unternehmen zu.

15 Milliarden DM Einnahmen

Dabei will die Telekom circa 15 Milliarden DM einnehmen, was nach Adam Riese einen Aktienausgabekurs von 30 DM voraussetzte. Zum Vergleich: Die beiden bisher größten Neuemissionen an der deutschen Börse, der Pharmahersteller Merck und der Sportartikelfabrikant adidas, nahmen jeweils "nur" 2,4 Milliarden DM ein!
Im Frühjahr 1997 wird voraussichtlich die "zweite Tranche" ausgegeben: Das Grundkapital der Telekom wird um weitere 500 Millionen Stück erhöht. Insgesamt wird also der Bund nach dem Telekom-Börsengang bis auf weiteres immer noch 2 der 3 Milliarden T-Aktien halten.
Diese beiden Tranchen zu jeweils 15 Milliarden DM würden den deutschen Aktienmarkt allein ziemlich überfordern. Daher wird ein Teil der T-Aktien auch in den USA verkauft und an der Wall Street (der New Yorker Börse) gehandelt. Aus diesem Grund muß sich die Telekom weitgehend den strengen, anlegerfreundlichen Bestimmungen des US-Aktienrechts unterwerfen und einen Jahresabschluß nach den US-Bilanzierungsregeln vorlegen - was bisher fast alle deutschen Aktiengesellschaften krampfhaft vermieden haben.

Problem: Unparteiische Beratung

Logischerweise gehört zur Spitze des internationalen Bankenkonsortiums, das die Telekom-Aktien plazieren wird, neben der Dresdner und der Deutschen Bank auch die renommierte amerikanische Investmentbank Goldman Sachs.
Doch trotz aller internationalen Hilfe wird die Emission der T-Aktie ein Mißerfolg, wenn die heimischen Sparer nicht mitziehen. Zum Bankenkonsortium gehört daher alles, was im deutschen Kreditwesen Rang und Namen hat. Das ist nicht unproblematisch: Denn kritische Analysen der T-Aktie wird man von Banken nicht verlangen können, die unter dem Druck stehen, möglichst viele Aktien an den Mann zu bringen.
Zur Zeit geriert sich die Telekom, als habe sie die Aktie neu erfunden, als seien verwandte Unternehmen wie AT&T (USA), NTT (Japan) und British Telecom nicht schon viele Jahre vor ihr den Weg an die Kapitalmärkte gegangen. Doch vielleicht ist das notwendig. Und wenn über die Beschäftigung mit der T-Aktie breitere Bevölkerungsschichten zu Aktiensparern werden, wäre dies ein enormer Fortschritt für die in Relation zur Größe der deutschen Wirtschaft ziemlich unterentwickelte Börse.
Mitte Oktober beginnt die Zeichnungsfrist, die vier Wochen dauert und in der man Aktien "bestellen", also zeichnen kann. Am Ende der Zeichnungsfrist wird der endgültige Emissionspreis bekanntgegeben, den der Zeichner zahlen muß. Bei einer Überzeichnung (was wahrscheinlich ist) werden die Aktien zugeteilt, so daß man eventuell weniger erhält, als man bestellt hat (Kleinanleger sollen aber bevorzugt werden).
Für den Privatanleger stellt sich also langsam die Frage: Zeichnen oder nicht zeichnen? Hier die wichtigsten Argumente dafür oder dagegen:

Klar doch

  • Oft ist der erste Börsenkurs einer Neuemission deutlich höher als der Emissionspreis. Also am ersten Tag verkaufen und den Gewinn einstreichen (nur für Zocker).
  • Die Teilprivatisierung erhöht den Eigenkapitalanteil und verstärkt den Druck auf das Management, rationell zu wirtschaften.
  • Telekommunikation ist der Wachstumsmarkt schlechthin. Von jeder Ausweitung dieses Marktes profitiert die Telekom, weil sie auf Jahre hinaus der einzige Anbieter mit einem kompletten Festnetz und fast allen Dienstleistungen im Angebot sein wird.
  • Die Telekom wird vermutlich vergleichsweise hohe Dividenden zahlen.
  • Den Teilnehmern ihres Aktien-Informations-Forums bietet die Telekom Rabatte. Wer die Aktien längere Zeit hält, soll "Treueaktien" im Verhältnis 10:1 (vom Bund) erhalten.


Bloß nicht

  • Die Telekom ist mental immer noch eineBehörde.
  • Die Telekom hat etwa 120 Milliarden (!) DM Finanzschulden und ist damit das höchstverschuldete deutsche Unternehmen. Sie bleibt abhängig von der Zinshöhe. Die ist zur Zeit niedrig, wird also bald steigen. Für den T-Aktienkurs ist das Gift.
  • Die Konkurrenz schläft nicht und verfügt über enorme Kapitalkraft und Know-How (RWE, Veba, VIAG, Mannesmann, AT&T, Cable&Wireless usw.). Das Festnetzmonopol fällt demnächst. Die Telekom ist nur noch einer unter mehreren Anbietern. Gut möglich, daß die Wachstumsraten zuallererst den Konkurrenten zugute kommen.
  • Man kann ja nach der Börseneinführung Ende November immer noch (und vielleicht sogar billiger) T-Aktien kaufen (nur für Hasenfüße).

G.D.