Lifestyle

Die besondere CD

Die Partei hat immer recht - Eine Dokumentation in Liedern

Nein, Kunstgenuß und Unterhaltungswert stehen bei dieser CD ganz bestimmt nicht im Mittelpunkt der Betrachtungen. Obwohl bei einer Spieldauer von 73 Minuten und 26 verschiedenen Darbietungen nahezu jede musikalische Geschmacksrichtung auf ihre Kosten kommt, sieht man einmal von Rock oder Pop ab. Liebliche Kinderlieder, schmissige Militärmusik, dramatische Chor- oder gar opernhaft anmutende Gesänge bis hin zum klavier- und gitarrenbegleiteten Liedvortrag garantieren einen abwechslungsreichen Hör"genuß".
Die Rede ist von Propaganda-Musik, die in unserer multimedialen Welt ausgestorben scheint. Ein Instrument, dessen sich heute kaum noch jemand bedient, da es längst bessere Mittel und Wege gibt, Ideologien und Zeitgeist zu verbreiten.

Mauer-Schlager und Stasi-Hymnen

Die auf dieser CD vorgestellten Titel sind eine Auswahl von Stalin-Hymnen, Stasi-Liedern und Mauer-Schlagern aus der vormaligen Deutschen Demokratischen Republik (DDR), die ihren Ursprung überwiegend in den fünfziger und sechziger Jahren haben. Dennoch handelt es sich dabei in einer Beziehung um eine regelrechte Neuerscheinung, denn die auf dieser CD verewigten Stücke waren bisher nicht auf Tonträgern erhältlich, weder innerhalb der DDR noch außerhalb ihrer ehemaligen Grenzen.
Aus der Sicht der Machthaber der SED, seinerzeit personifiziert durch Walter Ulbricht, war derartige Propaganda eben wohldosiert und wohlgesteuert zu entsprechenden Anlässen einzusetzen.

Probleme bei Kursänderungen

Schließlich konnte es durch den Lauf der Zeit ja durchaus notwendig erscheinen, manches Werk aus dem Verkehr zu ziehen oder zumindest den politischen Gegebenheiten anzupassen.
Deswegen durften natürlich keine nichtautorisierten Fassungen unkontrolliert durch die Republik kursieren. Dies gilt schon für die Nationalhymne der DDR ("Auferstanden aus Ruinen und der Zukunft zugewandt"), die den Reigen der 26 Titel auf dieser CD eröffnet. Während sie sich in der Urfassung noch mit Text präsentiert, der die deutsche Einheit beschwor, beschränkte man sich von 1971 bis zum Ende der DDR lediglich auf die instrumentale Fassung.
Denn von einem geeinten deutschen Staat wollte man nichts mehr wissen, da dies nicht mehr in das Selbstverständnis des "ersten sozialistischen Arbeiter- und Bauernstaates auf deutschem Boden" paßte.

"Stalin, Freund, Genosse"

Der Höhepunkt der Stalin-Ära mit ihrem Personenkult findet ebenfalls seinen Niederschlag auf dieser CD. Aber Stalin ("Stalin, Freund, Genosse") erwischte es ebenso wie später auch Walter Ulbricht ("Mit Walter Ulbricht kämpft sich's gut"), und folglich wanderten beide Stücke unter Verschluß.
Aber neben Personen werden auch bestimmte herausragende Ereignisse gewürdigt, so der Bau der Mauer am 13. August 1961 ("Die 13"), oder Eigenschaften wie die sozialistische Wachsamkeit ("Wir sind wachsam") beschworen. Mit dem Kundschafterlied wird der Dienst an der sogenannten unsichtbaren Front idealisiert (der heute die Gauck-Behörde beschäftigt).
Interessant ist aber auch, zu welchem Werk der IX. Parteitag der SED im Jahre 1976 den erst unlängst verstorbenen Dramaturgen Heiner Müller ("Gruß an die Partei") inspirierte. Klassiker wie das Lied der Partei, die immer recht hat (in der von Ernst Busch interpretierten stalinistischen Urform) fehlen ebensowenig wie schüchterne Satire-Versuche ("Pack die Badehose ein").

Müdes Lächeln und kalter Schauder

Eine 32seitige Broschüre zur CD begleitet jeden einzelnen Titel mit dem entsprechenden zeitgeschichtlichen Hintergrund und dem jeweiligen Umstand seiner Entstehung.
Die Gefühle derjenigen, die sich diese CD antun, dürften je nach persönlicher Biographie höchst unterschiedlich und zwiespältig sein. Denen, die im westlichen Nachkriegsdeutschland aufgewachsen sind, kann die Darbietung möglicherweise nur ein müdes Lächeln oder Verwunderung entlocken. Manch anderem, dem das eine oder andere Stück noch aus eigenem Erleben aus der DDR geläufig ist, dürfte es hingegen kalt den Rücken herunterlaufen.

Kein Fall für den Staatsanwalt

Auf jeden Fall konserviert diese CD exemplarisch Fossile eines untergegangenen, autoritären Systems, das sich, wenngleich im Laufe der Jahre dem jeweiligen Zeitgeschmack angepaßt, eines Propagandamittels bediente, das zuvor schon die Nationalsozialisten mit allen seinen möglichen Facetten zu nutzen wußten. Das Aufzeigen von solchen Paralleleln wäre zweifelsohne sehr interessant und aufschlußreich.
Bezeichnend für den Umgang mit der DDR-Vergangenheit ist aber allein schon der Umstand, daß überhaupt eine solche Sammlung sozialistischer und stalinistischer Propagandamusik auf CD gepreßt erscheinen kann. Nicht nur die "political correctness", sondern auch das Strafgesetzbuch wissen das Erscheinen eines vergleichbaren Werkes mit exemplarischen Beispielen von Liedgut des Nationalsozialismus zu verhindern, bestünde doch die Gefahr, daß einschlägige Kreise solche CDs für ihre Zwecke mißbrauchen könnten.

Interessantes Zeitdokument

Im umgekehrten Fall scheint diese Befürchtung bei der in Rede stehenden CD nicht so akut gesehen zu werden. Dennoch wird man dem Erscheinen dieser CD nicht gerecht, wenn man sie lediglich unter der Rubrik "Obskures" ablegt. Ein interessantes Zeitdokument für geschichtlich Interessierte ist sie in jedem Fall.

Erschienen bei BMG/Ariola in Kooperation mit dem DeutschlandRadio, erhältlich zum Preis von 27,90 DM.