Editorial

Briefwechsel

Wieviel Interesse hat Bayer an Leverkusen - und umgekehrt?

Bayer-Vorstandschef Dr. Manfred Schneider hat in einem Schreiben an Oberbürgermeister Dr. Mende, das Mitte August an die Öffentlichkeit kam, die von Mende, der SPD und den Grünen befürwortete Gewerbesteuererhöhung in Leverkusen kritisiert.
Bayer werde schon bisher durch ein Bündel von Nachteilen belastet. Die Voraussetzungen für neue Investitionen würden erschwert, und das sogar im Vergleich mit anderen Standorten in Deutschland. Nach Schneiders Ansicht liegt eine Anhebung der Gewerbesteuer "nicht im Interesse der Stadt und ihrer langfristigen Entwicklung".

Mende: Alles halb so schlimm

Im gleichfalls veröffentlichten Antwortschreiben bezeugt Oberbürgermeister Dr. Mende zwar "Verständnis", weist aber auf die finanziellen Zwänge hin. Die von Schneider angeführten anderen Städte in Nordrhein-Westfalen mit günstigeren Sätzen kämen ebenfalls um Gewerbesteuererhöhungen nicht herum. Der Regierungspräsident habe zudem die Stadt aufgefordert, bei der Sanierung des Haushalts eine maßvolle Gewerbesteuererhöhung vorzusehen.
Ein ganz normaler Briefwechsel? Kaum. Der Schneider-Brief wurde teilweise, selbst in der Unions-Fraktion, mit Unmut zur Kenntnis genommen. Schließlich belaste die Erhöhung Bayer gerade mal mit 3 Millionen DM (bei einem Umsatz von 18 Milliarden und einem Jahresüberschuß von 1,1 Milliarden in der AG). Manche interpretierten das Schreiben als Drohung oder gar als Alibi für weitere Standortverlagerungen aus Leverkusen hinaus.
Dabei wirft das Schreiben von Schneider und die Antwort von Mende die Frage auf, wieviel Interesse die Stadt und das Werk überhaupt noch aneinander haben. Bayer erwirtschaftet zwar Rekordgewinne, aber Leverkusen bekommt davon immer weniger zu sehen. Fast zwei Drittel des Bayer-Konzernumsatzes von zuletzt 44,6 Milliarden DM wurden von ausländischen Gesellschaften erbracht, und dieser Anteil wächst langsam, aber stetig.
Große Freiflächen im Werk und die Idee der Werksverwaltung, im Bayerwerk andere Firmen anzusiedeln, um diese Flächen wirtschaftlich zu nutzen, lassen überdeutlich erkennen, daß Leverkusen in der Planung des Bayer-Vorstandes keine bevorzugte Rolle spielt.
Heute gibt es im Gegensatz zu früheren Zeiten eine riesige Auswahl an internationalen Standorten. Den Ostblock gibt's nicht mehr, Asien boomt gewaltig, und selbst Lateinamerika hat in den letzten Jahren wirtschaftlich enorm aufgeholt. Da können 3 Millionen DM plötzlich sehr wichtig werden - und bei dieser Summe wird es langfristig ja nicht bleiben.

Bürokratische Antwort

Statt dessen erhält Schneider von Mende einen bürokratischen Formbrief. Ein politisch begabter OB hätte Schneider beim Wort genommen und sich mit ihm zusammengesetzt, um herauszufinden, was die Stadt tun kann, um so viel von Bayer wie möglich hier zu behalten. Es geht schließlich um Tausende von Arbeits- und Ausbildungsplätzen. Anderswo werden Investoren mit Millionensummen geködert, in Leverkusen vertraut man (in Zeiten der Globalisierung) offenbar auf den Lokalpatriotismus der Bayer-Vorstandsetage. Das muß ins Auge gehen.

G.D.