Politik

Immer mehr?

Wie lange können wir uns unsere hohen Löhne noch leisten?

Mehr Geld - wer könnte dies nicht gebrauchen? Die stetig steigenden Löhne und Gehälter - mindestens in Höhe der Inflationsrate - sind für die Deutschen beinahe schon zum Naturgesetz geworden. Wenn dieses droht, durchbrochen zu werden, gibt es kaum mehr Tabus. Jüngstes Beispiel sind die Aktionen der Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes in der laufenden Tarifrunde: Nun finden schon vor dem offiziellen Scheitern der Tarifverhandlungen stundenlange "spontane" Arbeitsniederlegungen statt. Auch die Friedenspflicht während der Schlichtung wird längst nicht mehr überall ernst genommen. Eigentlich verständlich, denn die Gewerkschaft sehen ihre Felle davonschwimmen. Daß die öffentlichen Kassen leer sind, ist spätestens seit dem Sparprogramm der Bundesregierung allgemein bekannt. Doch genau aus diesen leeren Kassen müßten ja die Tariferhöhungen finanziert werden. Mithin müßte sich der Staat, wenn er eine höhere Verschuldung vermeiden will, selbst das Geld für einen Ausgleich des Kaufkraftverlusts der Löhne von seinen Bürgern holen. Die Aussichten auf eine weitere Steuererhöhung angesichts der ohnehin schon immensen Steuer- und Abgabenlast sind aber für niemanden verlockend. Daß den öffentlichen Arbeitgebern (nicht nur der Bundesregierung, sondern auch vielen SPD-geführten Bundesländern und Gemeinden) daher wenig Spielraum in den Tarifverhandlungen bleibt, ist den Gewerkschaften klar. Sie versuchen daher, der Allgemeinheit eine Lohnerhöhung durch entsprechend schmerzhafte Streiks abzutrotzen.

Dringende Fragen

Doch nicht nur für den öffentlichen Dienst stellt sich die Frage, ob Löhne und Gehälter in der gegenwärtigen Höhe bzw. deren stetige Zunahme noch lange machbar sind. Zwar bezahlen private Arbeitgeber die Tarife nicht aus Steuermitteln, doch dafür bekommen sie die beständig wachsende Konkurrenz aus dem Ausland immer mehr zu spüren.
Eng verknüpft mit dem Thema Höhe der Löhne und Gehälter ist schließlich das Arbeitslosenproblem. Wo kein Geld ist, bzw. der Produktabsatz wegen Konkurrenz nicht mehr zunimmt, können keine neuen Arbeitsplätze geschaffen werden. Angesichts der monatlichen Rekordzahlen der Bundesanstalt für Arbeit, wirft dies Fragen auf, die weder Arbeitgeber noch Gewerkschafter noch Politiker unbeteiligt lassen dürften.


Arbeitsplätze contra Lohnsteigerung

Für einen Arbeitslosen ist blanker Hohn, wenn die, die Arbeit haben, immer mehr Lohn fordern und dadurch ihm selbst die Chancen, jemals wieder einen Job zu bekommen, weiter verbauen. Man gewinnt den Eindruck, die von den Gewerkschaften so oft besungene "Solidarität" gelte nur mehr zwischen denen, die in Lohn und Brot stehen, und nicht auch den Arbeitssuchenden gegenüber. Wenig rühmlich verhalten sich aber auch die Arbeitgeber. Da wird einerseits immer utopischeren Lohnforderungen zugestimmt, um sich das Geschäft nicht kaputtstreiken zu lassen. Andererseits verlagert man still und heimlich immer mehr Produktionsbetriebe ins Ausland. Als Begründung wird allenfalls nachgeschoben, daß der Faktor Arbeit" in Deutschland einfach zu teuer sei. Sicherlich, dies ist ein einfaches Marktgesetz und die Industriemanager könnten kaum mit ruhigem Gewissen vor ihre Aktionäre treten, würden sie nicht so handeln. Ein ruhiges Gewissen gegenüber den eigenen Beschäftigten dürften sie aber kaum haben.


Marktgesetze

Doch auch die Arbeitnehmer haben die Gesetze des Marktes ja gut verstanden. Da wird das Auto, die HiFi-Anlage oder den Film zum Fotografieren von den Firmen aus Fernost gekauft. Warum? Weil die genauso gut sind wie die entsprechenden einheimischen Produkte, aber längst nicht so teuer. Schuld daran, daß deutsche Produkte wegen der hohen Preise ihre Konkurrenzfähigkeit verlieren, ist aber das hohe Lohnniveau hierzulande.
Vor diesem Hintergrund ist auch das in Leverkusen heißdiskutierte Projekt "IVL India" wenig verwunderlich. Natürlich haben die Verantwortlichen bei der Entscheidung, einen Teil der Software für die Leverkusener Verwaltung von indischen Programmierern erstellen zu lassen, in Sorge um die städtische Kasse gehandelt. Das gewählte Verfahren ist wegen der geringeren Löhne in Indien wesentlich kostengünstiger, als wenn man alles in Deutschland programmieren lassen würde. Und der eigentliche Skandal liegt auch nicht in den rechtlichen Bedenken, die der Kölner Regierungspräsident Antwerpes gegen das Projekt angemeldet hat.


Gute Ausbildung - wofür?

Das Vorhaben der IVL-Manager wirft vielmehr eine ganz grundlegende Frage auf: Womit soll in Deutschland künftig noch Geld verdient werden? Denn die Arbeit, die da nach Indien gehen soll, ist mitnichten nur stupide Tipperei, kein Job für "Idioten", sondern vielmehr hochqualifiziert. Aus so "primitiven" Branchen wie der Stahlproduktion mußte sich die deutschen Wirtschaft schon längst verabschieden, da die ausländische Konkurrenz qualitativ gleichwertig, aber wesentlich billiger ist. Man tröstete sich darüber hinweg, indem man sich sagte, dafür würde man die "intelligenteren" Produkte herstellen, da unsere Ausbildung einfach besser sei.
Nun geht aber langsam, aber sicher auch unser Vorsprung in Bezug auf die Ausbildung verloren. Um es am IVL-Beispiel klarzumachen: Die Inder könnten über kurz oder lag auch die ganze benötigte Software produzieren, wenn man sie nur ließe. Und dies wäre mit Sicherheit noch wesentlich kostengünstiger als das momentan geplante Verfahren.
Was aber bleibt uns? Inzwischen hat ja selbst der Chemiker, der sein Studium inklusive Promotion in Minimalzeit und mit exzellenten Noten abgeschlossen hat, damit noch lange keinen angemessenen Arbeitsplatz sicher. Soweit ist es schon gekommen! Was nützt uns unsere gute Ausbildung, wenn sie niemand mehr für produktive Arbeit nutzen will? Sollen wir uns künftig in Deutschland alle gegenseitig ausbilden und bedienstleisten? Diese Rechnung wird wohl kaum aufgehen!


Kartenhaus

Es gibt nun zwei Möglichkeiten. Fall eins: Die "Arbeitsverteilungskartelle", wie ein führender Vertreter der deutschen Wissenschaft Arbeitgeber und Gewerkschaften kürzlich bezeichnete, kehren auf den Boden der Realität zurück. Dies könnte vielen Arbeitslosen einen Neuanfang ermöglichen. Die bisherigen Arbeitsinhaber müßten dafür allerdings Lohnabstriche und Einbußen von Privilegien hinnehmen.
Die andere Möglichkeit ist, daß es so weiterläuft wie bisher. Daß das Kartenhaus der hohen Löhne irgendwann in sich zusammenbrechen wird, dafür sind beinahe vier Millionen Arbeitslose ein sicheres Vorzeichen. Es ist nur die Frage, wer dann die Zeche dafür zahlen muß. Und für die arbeitslosen Akademiker wäre dann die Konsequenz, daß sie sich dort einen Arbeitsplatz suchen, wo sie gebraucht werden, nämlich im Ausland. Daß ihre erstklassige Ausbildung von einem Staat finanziert wurde, an den diese Akademiker nie Steuern bezahlen werden, wird sie herzlich wenig interessieren.

M.W.