Sport

Die Spiele der Greise

Zum 100jährigen Jubiläum der Olympischen Spiele

Am 5. April 1896 wurden in Athen die ersten Olympischen Spiele der Neuzeit eröffnet. Bereits zwei Jahre zuvor hatte der französische Baron Pierre de Coubertin zu deren Organisation das Internationale Olympische Komitee (IOC) gegründet. Er wollte die Idee aus dem antiken Griechenland wiederbeleben, über alle Grenzen hinweg die Menschen zum friedlichen Kräftemessen zu versammeln. Für einige Tage sollte nicht die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Kriegspartei, sondern allein Fairneß und die Gleichheit der Menschen die bestimmenden Werte sein. Im Altertum galt für die Zeit der Spiele ein olympischer Waffenstillstand, um Athleten und Zuschauern die ungehinderte An- und Abreise zu ermöglichen.

Hohes Ansehen

Die Wiederbelebung der olympischen Idee feiert also heuer ihr hundertjähriges Jubiläum. Nach zwei überstandenen Weltkriegen genießen die Olympischen Spiele aufgrund der Erziehungsideale ihres Wiederbegründers Baron de Coubertin höheres Ansehen als alle anderen sportlichen Wettkämpfe. Wie die Welt seit der letzten Jahrhundertwende haben aber auch die Spiele seitdem in vielen Beziehungen ihr Gesicht verändert. Von den Gründungsidealen ist wenig übrig geblieben.
So war es etwa nicht möglich, die Treffen der Weltelite des Sports völlig vom politischen Alltagsgeschäft abzukoppeln (was im antiken Griechenland auch nicht immer gelang). Die Ausnutzung der Spiele zu Propagandazwecken, wie die von 1936 in Berlin durch Hitler, die Auswirkungen des Ost-West-Konflikts (Boykott der Spiele 1980 in Moskau durch die westlichen Ländern und Boykott der Spiele 1984 in Los Angeles durch den Ostblock) sowie regionaler Konflikte (Attentat 1972 in München auf israelische Sportler durch Palästinenser), dies alles zeigte, wie weit die Realität doch von den Idealen entfernt ist.


Banausen

Wesentlich stärker als politische Turbulenzen, die seit 1988 nicht mehr auftraten, hat jedoch ein anderer Faktor das Erscheinungsbild der in vierjährigem Abstand stattfindenden Wettkämpfe beeinflußt. Mit dem steigenden Wohlstand eines Teils der Weltbevölkerung begann das Diktat des Geldes und des Kommerzes. Spätestens seit Los Angeles 1984 bestimmen nicht mehr die Sportler, sondern Fernsehen und Sponsoren, was wann und wie stattfindet.
Bezeichnend, daß die Jubiläumsspiele 1996 nicht am historischen Ort in Athen, wie lange angenommen, sondern am Firmensitz des Hauptsponsors Coca-Cola in Atlanta/Georgia stattfinden. Nach dieser Entscheidung sagte der damalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker zu IOC-Mitglied Willi Daume: "Was seid ihr für Banausen!"
Tatsächlich sind diese "Banausen", die die Weltspiele der Jugend organisieren, nur noch vom Alter her den Ideen Coubertins nahe. Anstatt in einer sportlichen, sind die Mitglieder des IOCs längst in einer anderen Disziplin zu Spezialisten geworden: Im Scheffeln von Geld und Macht. Und das Erschreckende daran ist, daß hier in nächster Zukunft kaum die "biologische Lösung" Abhilfe schaffen wird. Das IOC bestimmt nämlich über seine Zusammensetzung ohne jegliche Einmischung von außen. So war es auch kein Problem, wie unlängst geschehen, die Altersgrenze für die Mitgliedschaft in diesem erlesenen Kreis von 75 auf 80 Jahre heraufzusetzen.


Wendehälse tonangebend

Betrachtet man die Biographien der tonangebenden Personen in der Riege der alten Herren, so drängt sich der Eindruck auf, daß sie schon immer gut darin waren, die jeweiligen Gegebenheit zu ihrem persönlichen Vorteil auszunutzen. So etwa IOC-Präsident Juan Antonio Samaranch, der als spanischer Fabrikantensohn die Treppe des spanischen Sportmanagements heraufstolperte. Hilfreich war ihm dabei die Nähe zu Diktator Franco, auf den Samaranch auch heute noch nichts kommen läßt. Sie ermöglichte ihm auch eine politische Karriere. Nach der Diktatur wurde Samaranch spanischer Botschafter in Moskau. An den dortigen Spielen 1980 nahmen anders als viele andere westliche Nationen die spanischen Sportler trotz des sowjetischen Einmarsches in Afghanistan teil. Die schaffte Samaranch bei der Wahl zum IOC-Präsidenten den entscheidenden Vorteil gegenüber dem Deutschen Willi Daume.


Wie die Maden im Speck

Auch der Nummer zwei des IOC, dem Südkoreaner Un Yong Kim, wird beständige Nähe zu den wechselnden Seouler Militärdiktaturen nachgesagt. Nummer drei, der Chef des Welt-Leichtathletikverbands IAAF Primo Nebiolo, scheint auch keine Probleme mit dem Erringen persönlicher Vorteile zu haben. Von einer schwedischen Journalistin nach einem überstandenen Korruptionsprozeß auf die weiter bestehenden Korruptionsvorwürfe angesprochen, wußte er zu antworten: "Mit wie vielen Männern haben Sie in Ihrem Leben geschlafen?" Wen wundert es noch, daß die Nummer vier des IOC, der Brasilianer Joao Havelange, schon seit 1974 Präsident des Weltfußballverbands FIFA (solange ist noch nicht einmal Helmut Kohl Bundeskanzler), sich mit der argentinischen Militärjunta gut verstand? Obendrein werden ihm zweifelhafte Geschäfte inklusive Waffenhandel nachgesagt.
Wenn im Zuge der Bewerbung um die Olympischen Spiele 2000 herauskam, daß die Berliner Olympia GmbH Dossiers über die persönlichen Vorlieben und Abneigungen der einzelnen IOC-Mitglieder anfertigen ließ, so ist dies kaum verwunderlich. Für die Herren der Ringe gehören opulente Gelage ebenso zur Tagesordnung, wie von Spiele-Ausrichtern in spe fürstlich vergütete Flugreisen. So ließ sich IOC-Vize Pal Schmitt eine Reise in die deutsche Hauptstadt mit 18000 Mark vergüten.
Die Verwalter der Ideen Baron de Coubertins gebären sich längst wie die Lenker eines großen Konzerns. Und dies ist das Unternehmen Olympia auch längst geworden. Allein die Fernsehrechte bringen dem IOC bist zum Jahr 2008 5,5 Milliarden Dollar ein. Deshalb müssen sich die Anfangszeiten der Wettkämpfe, wie 1994 bei den Winterspielen in Lillehammer geschehen, auch nicht mehr nach den Bedürfnissen der Sportler, sondern nach den Einschaltquoten der Fernsehzuschauer richten.


Friedensnobelpreis?

Nächstes Ziel des Unternehmens Samaranch und Co. ist es nun, sich für die Vermarktung der Olympischen Idee auch noch den Friedensnobelpreis verleihen zu lassen. Das Gerücht davon ließ selbst die Mitglieder des Osloer Nobelpreiskomitees spotten. Doch die Riege um den 75jährigen Spanier ist von dieser Idee so beseelt, daß sie zu diesem Zweck eigens eine der weltgrößten Werbefirmen anheuerte. Daß man der Sportbewegung der Behinderten die Verwendung aller olympischen Symbole verbot, und sie auch noch zwang, statt der fünf Tränen als Erkennungszeichen nur noch drei zu benutzen, darüber wurde an anderer Stelle ja bereits berichtet. Das Gewissen der greisen Mitglieder des Komitees mit Sitz im schweizerischen Lausanne scheint sich darüber ebenso wenig zu regen, wie über die totgeschwiegene Doping-Problematik oder über das Verbot des Frauensports in einigen IOC-Mitgliedsländern. Die Herren des IOC glauben nämlich nicht mehr an die Ideale Baron de Coubertins, sondern nur noch an eines: Geld.

M.W.