Leverkusen

Vom Flughafen zum Pinkelstein

CDA-Veranstaltung zum Thema Chlorchemie

Chlorchemie: auf den ersten Blick kein sonderlich interessantes Thema, was sich die CDA Leverkusen (die Arbeitnehmergruppe in der CDU) für eine Podiumsdiskussion ausgesucht hatte. Doch offenbar traf man den Nerv vieler Bürger, denn am Montag, dem 15. April 1996 knubbelten sich um 19.00 Uhr im überfüllten Forum-Vortragssaal etwa 110 Menschen.
Von den vier Diskutanten war nur Marianne Hürten, Landtagsabgeordnete der Grünen, gegenüber der Chlorchemie eindeutig kritisch eingestellt. Dr. Manfred Engelmann, Vorstand bei der Vinnolit Kunststoff GmbH Köln, dem größten PVC-Hersteller Deutschlands (ein Gemeinschaftsunternehmen von Hoechst und Wacker), Dr. Hans-Jürgen Neuhahn von der Bayer AG und der IG-Chemie-Bezirksgeschäftsführer Gerd Hengsberger waren anderer Meinung.
Zu Beginn der von CDA-Bundespressesprecher Uwe Schummer geleiteten Veranstaltung erläuterte Dr. Neuhahn auch für Laien verständlich die Grundzüge der Chlorchemie. Chlor sei nicht nur Bestandteil vieler Endprodukte, sondern als als eine Art "Werkzeug" unverzichtbar, da es sehr reaktiv und leicht abspaltbar sei. So ließen sich nur mit Hilfe von Chlor viele Verbindungen erzeugen, in denen am Ende Chlor gar nicht mehr vorkäme. Neuhahn konzedierte die Janusköpfigkeit der Chlorchemie am Beispiel von DDT: Ökologisch sei dieses Mittel nicht in Ordnung und zu Recht verboten, aber es habe immerhin während seiner Anwendungszeit die Malaria praktisch ausgerottet, während die Krankenzahlen heute wieder anstiegen.
Dr. Engelmann ging zuerst auf den Düsseldorfer Flughafenbrand ein: PVC-Kabel seien nach dem aktuellen Wissensstand nicht verantwortlich, da es dort offenbar keine größeren Kabelbrände gegeben habe, wofür auch spreche, daß die Technik überraschenderweise im Unglücksgebäude noch funktioniert habe. Desweiteren schilderte er die Vorteile von PVC und dessen weites Anwendungsfeld von Rohren und Fensterprofilen bis zum Autounterbodenschutz. Verglichen mit Holzfenstern schnitten PVC-Fenster in der Ökobilanz gleich ab, bei Recycling sogar besser.
Marianne Hürten machte ebenfalls nicht das PVC für den Brand verantwortlich. Ihr ging es in erster Linie um den Ausstieg aus der Verbundchemie, dem "Chlorbaum". Die Chlorchemie wurde von ihr nicht in Bausch und Bogen verdammt. Doch forderte sie aus ökologischer Sicht mehr Produktalternativen. Dr. Engelmanns PVC-Enthusiasmus quittierte sie mit Unglauben.
Damit kam sie bei Gerd Hengsberger gar nicht gut an. Der Gewerkschafter erklärte, in Deutschland werde die Chlorchemie am besten beherrscht. Im Bereich Kunststoffe seien 70% aller Neuheiten durch die Chlorchemie bedingt. Chlorchemie sei High-Tech und für unabdingbar für neue Arbeitsplätze. Nähme man alle mit oder aus Chlor hergestellten Produkte, hingen daran in NRW etwa 60% der 160.000 Chemiearbeitsplätze. Schon heute sei die Verbundchemie weitgehend aufgebrochen. Dies liege aber nicht an den Grünen, sondern an verstärkten Zukäufen von Zwischenprodukten im Ausland. Ziel müsse es sein, die Chlorchemie in Deutschland zu halten.
In der Diskussion stand Frau Hürten ziemlich allein da, was sie jedoch nicht besonders zu stören schien. Viele befürchteten, daß Deutschland ohne Not, aus einer grünen Laune heraus, ein weiteres Gebiet Spitzentechnik preisgibt. Immerhin waren sich Frau Hürten und Dr. Engelmann einig, daß die chlorhaltigen "Pinkelsteine" in Männertoiletten absolut unnötig seien.
Für die CDA war der Abend ein großer Erfolg. CDA-Chef Ulrich Müller (ja, identisch mit dem Politeia-Redakteur) hatte eine hochkarätige Diskussionsrunde zusammengebracht und so effektiv für die Veranstsltung geworben, daß einige Zuhörer stehen mußten. Erstaunlich nur, daß die CDU-Wirtschaftsvereinigung Leverkusen sich aus der gemeinsamen Vorbereitung wieder zurückzog. Denn hier ging es um "Standort Deutschland" pur.

G.D.