Editorial

Der Lack ist ab

Auch die Grünen sind längst zur "etablierten" Partei geworden

Wenig verwundernd und trotzdem überraschend - so könnte man das Ergebnis des vergangenen Landesparteitags der nordrhein-westfälischen Grünen zusammenfassen. Es war einer der wenigen Fälle im politischen Alltagsgeschäft, bei dem die gesamte Republik gebannt auf eine Entscheidung wartete, die eigentlich nur die Politik eines einzigen Bundeslandes betraf.
Tatsächlich sind die 20 Millionen Mark für die Modernisierung des Regionalflughafens Dortmund, die im ersten gemeinsamen Haushalt der erst acht Monate alten rot-grünen Koalition eingeplant sind, selbst für nordrhein-westfälische Verhältnisse ein eher lächerlicher Betrag. Umfassen die gesamten Ausgaben für das bevölkerungsreichste Bundesland in 1996 doch insgesamt 87 Milliarden Mark.


Kleinigkeiten

Aber genau an diesen "Peanuts" zogen SPD und Grüne ihren Koalitionskrach auf. Und eben deshalb war die Entscheidung des Grünen-Parteitags über die Annahme des Haushalts und somit den Verbleib in der Koalition weit über die Landesgrenzen hinaus von Bedeutung. Schließlich sollte Rot-Grün an Rhein und Ruhr doch als Probelauf für eine ebensolche Koalition in Bonn bzw. Berlin nach der nächsten Bundestagswahl gelten.
Überraschend war das 145 zu 75-Ergebnis des Hammer Parteitags für das Schlucken der Flughafen-Modernisierungs-Kröte und einiger anderer verkehrspolitischer Streitobjekte (A44-Ausbau, ICE-Anschluß für den Flughafen Köln/Bonn sowie kein Nachtflugverbot dort) wegen seiner Klarheit. Denn im Vorfeld des Grünen-Treffens hatten sich immerhin einige Untergliederungen der Partei ebenso deutlich gegen die Opferung grüner Verkehrspolitik auf dem Altar des Machterhalts ausgesprochen.


Keine Alternativen

Ebenso illusorisch wäre es aber gewesen, auf ein schnelles Ende des rot-grünen Experiments in Düsseldorf zu hoffen. Denn praktisch gesehen hatte keine der beiden Seiten ein reelle Alternative gehabt. Die Grünen nicht, weil sie in der Opposition noch weniger von ihrer Politik durchsetzen können als am Koalitionstisch. Die SPD nicht, weil ein Minderheitskabinett im großen Nordrhein-Westfalen kaum lange bestand hätte und die Partei-Basis für eine große Koalition auch nicht zu begeistern wäre. Und bei Neuwahlen würde der Wähler noch nicht einmal ein Jahr nach dem letzten Urnengang weder Rot noch Grünen für das kleinliche Gezänk belohnen. So mußten die beiden Streithähne das zerrissene Tischtuch wohl oder übel wieder flicken.
Dies förderte jedoch einige Erkenntnisse über die Verfassung des kleineren Koalitionspartners deutlicher denn je zutage: Die Grünen sind in vielerlei Hinsicht längst eine ganz normale Partei geworden. Von der Protestpartei von Anfang der achtziger Jahre ist bis auf ein paar langhaarige, turnschuhtragende und/oder vollbärtige Eingefleischte in den Orts- und Kreisverbänden nichts mehr übriggeblieben.


Nichts Besseres

Die Öko-Partei gehorcht den gleichen Regeln und Sachzwängen wie die von ihr lange Zeit als "etabliert" verschrienen CDU/CSU, SPD und FDP auch. Besonders dann, wenn es um den Machterhalt geht. Das Rotationsverfahren etwa, bei dem die Bundestagsabgeordneten nach der Hälfte der Wahlperiode gegen Nachrücker von den Listenplätzen ausgetauscht werden sollten, wurde gleich in der ersten Wahlperiode, in der Grüne im Bundestag saßen, von eben diesen torpediert. Das energische Eintreten von Umweltministerin Höhn und Bauminister Vesper für die Fortdauer von Rot-Grün ist auch leicht erklärbar: Ohne Ministerposten hätten sie, da ohne Landtagsmandat, vor dem politischen Aus gestanden.
Wie die Entscheidung der Grünen für den Verbleib an der Macht moralisch zu bewerten ist, kann und soll hier nicht entschieden werden. Doch stellt dies die gesamte Partei in ein neues Licht: Das Gerede von den "Etablierten" und das ganze Gehabe als "einzig glaubwürdige Partei" stellt sich als pure Scheinheiligkeit heraus. Umfaller und machtgeile Politiker gibt es bei den Grünen genauso wie bei anderen Parteien auch.


Lebenslüge Rot-Grün

Ebenso dürfte der Düsseldorfer Koalitionsknatsch dafür sorgen, daß die Patina von der "heiligen Kuh" Rot-Grün nun beschleunigt abfällt. Der Traum der Linken von einem solchen Regierungsbündnis als Garant für alles, was mit ökologisch, sozial und sonstwie selig machend zu tun hat, ist endgültig ausgeträumt. Die SPD glaubt (wie jede andere Partei auch), das richtige Politik-Konzept zu besitzen, und braucht daher die Grünen nur soweit, wie dies zur Durchsetzung der eigenen Ideen nötig ist. Und die Grünen müssen sich damit abfinden, daß ihre Positionen nicht mehrheitsfähig sind, denn sonst würden sie auch von der Mehrheit gewählt.
Rot-Grün in NRW als Modell für Bonn bzw. Berlin? Das läßt grausen! Sollten sich nach einem entsprechenden Wahlergebnis die Düsseldorfer Verhältnisse auf den Bund übertragen, heißt es nur noch "Gute Nacht". Gezänk und Gezeter in und zwischen den Koalitionspartnern - dabei wird glatt vergessen, daß es noch ein Land gibt, das eigentlich regiert werden sollte...

M.W.