Politik

Tarifreform, die zweite

Nein, nicht von der Deutschen Telekom ist hier die Rede, deren Tarifreform die Schlagzeilen zu Beginn des Jahres nachhaltig beherrschte. Außer der Telekom gibt es ja Gott sei Dank noch ein weiteres privatisiertes vormaliges Unternehmen des Bundes.
Die Deutsche Bahn AG ist es, die nun ein ganz neues Tarifsystem "auf die Schiene setzen" will. Was sie jedoch nicht daran hinderte, zum 5. Januar dieses Jahres die Fahrpreise noch einmal kräftig zu erhöhen. Ähnlich wie die Telekom möchte man künftig die Tarife nachfrageorientiert gestalten. Allerdings scheint man aus dem Telekom-Desaster gelernt zu haben.
Die Umsetzung dieses neuen Systems soll erst nach und nach in mehreren Stufen umgesetzt werden - von der Telekom lernen heißt eben nicht unbedingt siegen lernen.
Eine gewisse Gewöhnungsphase will man den Reisenden und nicht zuletzt auch dem eigenen Personal schon gewähren, zumal der Einführungszeitpunkt noch nicht feststeht: Man rechnet noch verschiedene Preismodelle durch.


"Verstetigung der Nachfrage"

Wie das für den Personenverkehr zuständige Vorstandsmitglied der Deutschen Bahn AG, Neuhaus, in Frankfurt/Main unlängst erläuterte, will die Bahn die zeitliche Flexibilität ihrer Kunden mit Preisabschlägen belohnen. Man beabsichtigt damit eine "Verstetigung der Nachfrage", also eine gleichmäßigere Auslastung der Züge. Daneben soll es ebenfalls für Langstrecken Rabatte geben.
Rabatte für Langstreckenfahrer sind durchaus zu begrüßen. Der Anreiz, die Bahnbenutzung gerade bei großen Entfernungen auch preislich attraktiver zu gestalten und damit den Autofahrer auf die Schiene zu locken, ist eindeutig ein Schritt in die richtige Richtung. Vielleicht sogar zu halbherzig, wenn man im Vergleich dazu manche Airline betrachtet, die Vielfliegern Flugkilometer gutschreibt.
Aber die "zeitliche Flexibilität", die die Bahn bei der Preisgestaltung als Komponente einbringen will, stimmt doch bedenklich. Wenngleich aus betriebswirtschaftlicher Sicht eine gleichmäßige Auslastung mittels Verstetigung der Nachfrage sicherlich sinnvoll sein mag, wird bei diesem System jedoch nicht der regelmäßige Bahnbenutzer, der Vielfahrer, belohnt, sondern eben der Gelegenheitsfahrer. Die treuesten Kunden der Bahn drohen durch die Reform einmal mehr abgestraft zu werden.


Zur Rush-hour am teuersten?

Dies gilt besonders für Fernpendler, die nun einmal darauf angewiesen sind, für die wöchentliche Heimfahrt am späten Freitagabend den Zug zu benutzen und spätestens Sonntagabend wieder an ihre berufliche Wirkungsstätte zurückzukehren. Die wenigsten Reisenden können überhaupt über den Zeitpunkt ihrer Reise gänzlich frei entscheiden, sieht man einmal von Rentnern ab, aber die haben ja ohnehin bekanntlich die wenigste Zeit.
Aber einmal nüchtern betrachtet: Nachfrageschwache Zeiten bei der Bahn sind normalerweise auch die Zeiten, wo der Verkehr auf den Fernstraßen am schwächsten ist. Und gerade während der "Rush-hour" sollte der Schiene eine entlastende Funktion zukommen. Denn wo sonst kann sie ihren Trumpf des staufreien Fahrens besser und offensichtlicher ausspielen?
Wenn die Bahn AG hier nicht mit mehr Sensibilität vorgeht, werden wieder mehr potentiellen Kunden das eigene Auto benutzen.
Da sollte die Bahn lieber Sonderangebote in Form von "Schönes-Wochenend-" oder Guten-Abend-Ticket" beibehalten oder gegebenenfalls noch etwas zu modifizieren, um so der Überlastung einzelner Züge und Strecken entgegenzuwirken.


Rohrkrepierer

Außerdem stünde es einem gewinnorientiert arbeitenden Unternehmen gut an, die Nachfrage nicht in erster Linie über den Preis, sondern durch entsprechende Angebote und einen flexibleren EInsatz von Betriebsmitteln zu steuern. Gerade im Hinblick auf die Öffnung des Schienennetzes für weitere Anbieter könnte sich eine Tarifreform der Deutschen Bahn AG zu einem Rohrkrepierer entwickeln, wenn das Angebot im Fernreiseverkehr erst einmal durch Dritte ergänzt und vielleicht sogar verbessert wird.