Politik

Ein versagtes Recht

Deutsch in der EU

Es gibt ein Thema, das so gar nicht nach dem Geschmack der Brüsseler Eurokraten ist: Die Frage nach der Gleichberechtigung der deutschen Sprache innerhalb der Europäischen Union (EU).
Schon seit Jahren klagen die deutsche Wirtschaft sowie die Verwaltungen von Bund, Ländern und Gemeinden darüber, daß Ihnen Dokumente und Arbeitsunterlagen der Europäischen Union zumeist nur in Französisch und Englisch zur Verfügung stehen. So alt wie diese Problematik sind auch deutsche Versuche, dies zu ändern. Beschwerden von Spitzenverbänden aus Wirtschaft und Politik an die Bundesregierung gibt es seit Jahren. Auch die Bundesregierung selbst wurde in dieser Frage schon unzählige Male in Brüssel vorstellig - doch geschehen ist bislang nichts. Weder die deutsche Vereinigung noch der Beitritt Österreichs konnten an der für Deutschland unbefriedigenden Situation etwas ändern. Wobei sich zwischenzeitlich der Eindruck aufdrängt, daß man von deutscher Seite auch gar nicht mehr bemüht ist, die Forderung nach der gleichberechtigten Berücksichtigung von Deutsch in der EU nachhaltig zu vertreten.


Rechtliche Grundlagen vorhanden

Die Grundlage für die rechtliche Regelung der Sprachenfrage innerhalb der EU bildet Art. 217 des "Vertrages zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWGV)" und Art. 190 des "Vertrages zur Gründung der Europäischen ATOMgemeinschaft", beide vom 25.3.1957. Auch in den einzelnen Geschäftsordnungen von Rat, Kommission und EU-Parlament ist eindeutig festgelegt, daß in den entsprechenden Gremien nach den vorgenannten Rechtsgrundlage verfahren werden muß.


Die Realität

Obwohl Deutsch, wie alle Sprachen der EU-Mitgliedsländer, rechtlich gesehen gleichberechtigte Amts- und Arbeitssprache in allen Organen der EU ist, bestehen zwischen dem rechtlichen Status und der tatsächlichen Praxis erhebliche Unterschiede. Englisch und insbesondere Französisch haben sich als Amts- und Arbeitssprachen bei den EU-Organen herausgebildet. So herrscht bei den Dienststellen von Rat und Kommission die Tendenz vor, intern sowie bei Kontakten mit Behörden, Wirtschaftsverbänden und Bürgern, aber auch bei Dokumenten, Verhandlungen und Informationen fast ausschließlich die französische und englische Sprache zu benutzen, wobei man zweifellos sagen kann, daß Französisch als die eindeutig dominierende Sprache in allen Gremien der EU anzusehen ist. Laut Kennern der EU-Szene läuft "der gesamte Entscheidungsprozeß... seit jeher auf Französisch" ab.
In der Verwaltungsarbeit der EU-Kommission äußert sich die Vormacht von Französisch und Englisch derart, daß beispielsweise ein deutscher Beamter gezwungen wird, die Schriftstücke in Französisch oder Englisch abzufassen, mit der Begründung, daß sonst der Text von der Beamtenhierarchie nicht geprüft werden kann, weil ein deutschsprachiger Vorgesetzter die Ausnahme ist. In den Pressekonferenzen der EU liegen sämtliche Dokumente und Informationen für die Journalisten ausschließlich in französischer Sprache aus. Selbst deutsche Journalisten müssen ihre Fragen in Französisch an den deutschen EU-Sprecher richten und dieser muß seine Auskunft dann in Französisch erteilen. Das ist die europäische Einheit in höchster Vollendung!


Ursachen der Entwicklung

"... Die ganze Misere ist rein eigen verschuldet, das sind keine bösen Verschwörungen, das ist eine rein eigen verschuldete Sache - hat auch mit dem Selbstbewußtsein der Deutschen in supernationalen Behörden etwas zu tun", Manfred Brunner, ehemaliger EG-Kabinettschef, am 8.1.1992 in einer Fernsehdiskussion des Bayrischen Rundfunks. Treffender kann man die Wurzel allen deutschen EU-Übels wohl nicht beim Namen nennen. Mangelndes deutsches Selbstbewußtsein ist der Hauptgrund für die mangelnde Berücksichtigung der deutschen Sprache innerhalb der EU - und dies gilt nicht nur für das Sprachenproblem.
Bereits in den Gründungstagen der Europäischen Gemeinschaft unterschied sich das Auftreten französischer Repräsentanten erheblich von dem ihrer deutschen Kollegen. Einerseits die "Grande Nation" als einer der Gewinner des Zweiten Weltkriegs, andererseits das geschlagene Deutschland, das damals nicht die Souveränität besaß, sich gegen die Übermacht der französischen Sprache durchzusetzen. So bedeutete das französisch- oder englischsprachige Auftreten für die deutschen EG-Beamten aus den Anfangsjahren der EG ein Privileg. Sie hielten es für einen besonderen Ausweis ihrer Europafreundlichkeit. Im Gegensatz dazu ist die Bereitschaft von Franzosen und Engländern, ihren Gesprächspartnern mit deren Muttersprache zu begegnen, prinzipiell nicht besonders ausgeprägt. Insoweit ist es also nicht verwunderlich, daß bislang alle deutschen Versuche gescheitert sind, den Gebrauch von Deutsch in der EU nachhaltiger zu fördern.


Negative Folgen für die deutsche Wirtschaft

Zweifellos ist das gegenseitige "Verstehen" eine der Grundvoraussetzungen für gemeinsames Handeln. Dieses ist jedoch in Frage gestellt, wenn wichtige EU-Dokumente mangels deutscher Übersetzung von Unternehmen und Verwaltungen nicht oder nur unzureichend zur Kenntnis genommen werden können. Weil beispielsweise die Antragsfristen bei Ausschreibungen für Förder-, Aktions- oder Forschungsprogramme recht kurz bemessen sind, bedeutet das Sprachhemmnis für die deutsche Wirtschaft eine zusätzliche Wettbewerbsbarriere. Deutschsprachige Ausschreibungsunterlagen werden oftmals erst mit großer Verspätung bereitgestellt. Nicht selten drängt sich der Eindruck auf, daß diese Verzögerungen durch die EU-Kommission mit Methode geschehen.
Die im EU-Rechtsetzungsverfahren relevanten Dokumente stehen erfahrungsgemäß meist weder rechtzeitig vor den Sitzungen der EU-Organe noch in den Sitzungen selbst in deutscher Sprache zur Verfügung. Die Arbeitsdokumente sind französisch- oder englischsprachig, erst die Beschlußdokumente erscheinen in deutscher Sprache und dies meist erst mit erheblicher Verspätung. Folge davon ist die beschränkte Handlungsfähigkeit der deutsche Vertreter in den EU-Gremien und damit eine erhebliche Benachteiligung bei der Wahrnehmung deutscher Interessen.


Was ist zu tun?

Deutsch ist die mit Abstand größte Regionalsprache in der EU. Nach Schätzungen von Fachleuten sprechen bzw. verstehen innerhalb Europas etwa 120-140 Millionen Menschen Deutsch. Das Argument der EU-Kommission, daß Deutsch keinen "ausreichenden Bekanntheitsgrad" innerhalb Europas habe, ist damit entkräftet. Auch die Einwendungen, daß es an Geld und Personal fehle, sind in Wahrheit nur Scheinargumente, um die Vorherrschaft der englischen und insbesondere der französischen Sprache zu sichern. Denn zweifellos könnte der größte Nettozahler bei der Kostenfrage nachhaltig intervenieren, wenn man dies nur wollte.
Zu fordern ist im einzelnen:
  • Einhaltung der geltenden EU-Sprachregelung.
  • Gleichbehandlung von Deutsch als Amts- und Arbeitssprache in allen Gremien der EU.
  • Einsetzung eines deutschsprachigen Übersetzerdienstes.
Es geht hier nicht um nationale Eigensinnigkeit oder überflüssiges Prestigedenken, sondern um die Herstellung gleicher Chancen. Man kann also daher nur hoffen, daß man von deutscher Seite endlich handelt. Tut man dies nicht, besteht die Gefahr, daß aus den Kritikern der Europäischen Union schon bald ihre Feinde werden.

Thomas Laake / M.W.