Editorial

Billige Polemik

Die Reform der Fernmeldetarife war überfällig

Noch nicht einmal einen Tag war das neue Jahr alt, da hatte Deutschland schon wieder seinen ersten Skandal. Bösewicht war diesmal der Postnachfolger Telekom. Aufgrund eines Softwarefehlers bei der Umstellung auf das neue Gebührensystem wurde den Telefonkunden in 550 Vermittlungsstellen im gesamten Bundesgebiet statt des Feiertagstarifs der teurere Wochentagstarif berechnet. Obwohl der Programmfehler innerhalb weniger Stunden beseitigt werden konnte, entzündete sich daran einem Lauffeuer gleich eine Kampagne gegen das Fernmeldeunternehmen.
Grund war natürlich nicht der (entschuldbare) Softwarefehler. Vielmehr erbosten sich quer durch alle Parteien die Politiker über das seit langem bekannte und nun inkraft gesetzte Tarifkonzept. Landesfürsten (mit Vorliebe aus den Ländern, in denen bald Wahlen anstehen) bezeichneten die neuen Gebühren als unsozial und unausgewogen. Beinahe die bekannteste Dame in diesen Tagen war die alte Oma, im Fernsehen wieder und wieder gezeigt, die nur über den Fernsprecher mit der Außenwelt Kontakt hält und für die nun das Telefonieren teurer wird.


Wirklich teurer?

Wenngleich möglicherweise durch die Reform des Gebührensystems für gewisse bedürftige Menschen (vorerst) tiefer in die Tasche greifen müssen, hat die Telekom nun keineswegs das große Abkassieren vor dem für 1998 geplanten Einstieg von Konkurrenten in den Telekommunikationsmarkt eingeläutet. Es stimmt nicht, daß die neuen Tarife willkürlich oder unüberlegt festgelegt worden wären. Vielmehr hatte die Telekom vorher sehr genau die Telefongewohnheiten ihrer Kunden ausgekundschaftet.
So werden Ferngespräche, die bisher etwa 64 Prozent der Telefonkosten von Privatkunden verursachten, billiger. Auch zur verteufelten Anhebung der Gebühren für Ortsgespräche gibt es unstrittige Zahlen, die nachdenklich stimmen: Nach Telekomerhebungen dauern mehr als die Hälfte aller Ortsgespräche weniger als 90 Sekunden. Und die kosten seit Jahresbeginn nur noch zwölf statt bisher 23 Pfennig. Selbst die Grundgebühren sind für sozial Schwache von bisher 19,60 DM auf 9 DM gesunken. (Für Blinde, Gehörlose und Sprachbehinderte betragen sie gar nur noch 5 DM.) Allerdings sind dafür die 40 Freieinheiten weggefallen.


Wettbewerb

Hintergrund für die Überarbeitung der Gebühren ist die für Anfang 1998 vorgesehene vollständige Aufhebung des Telefonmonopols. Der Postnachfolger soll damit auf den kommenden Wettbewerb mit in- und ausländischen Unternehmen vorbereitet werden. Dazu war es notwendig, eine Schieflage zu beseitigen: Bisher waren hierzulande Ferngespräche im Vergleich zu denen in anderen Staaten viel zu teuer. Die alte Bundespost konnte über deren Kosten aber die Verluste, die sie in den wesentlich aufwendigeren Ortsnetzen einfuhr, kompensieren. Es war absehbar, daß die Telekom mit einem solchen Tarifgefüge im Wettbewerb hoffnungslos ins Hintertreffen geraten wäre.
Beispiel: Wäre es bei den alten Gebühren geblieben, hätten sich geschickte Konkurrenten folgendermaßen verhalten können. Sie verzichten darauf, teure Einzelkundenanschlüsse zu verlegen. Vielmehr bieten sie ihren Kunden an, sich über das Telekom-Ortsnetz in das eigene Netz für Ferngespräche einzuwählen. Wegen des vergleichsweise geringeren Aufwandes für das Fernnetz können sie diese den Kunden dann weit unter Telekom-Preis anbieten. Was für den Kunden kurzfristig natürlich billiger gewesen wären, hätte auf lange Sicht den Bankrott der Telekom bedeutet.


Auf lange Sicht billiger

Tatsächlich geht es nun aber andersherum: Während es für manche Telefon-Kunden möglicherweise erst einmal höhere Fernmelderechnungen gibt, werden die Kosten auch für sie früher oder später sinken. Denn zum einen hat die Post angekündigt, daß mit der flächendeckenden Digitalisierung der Ortsnetze (dies soll bis 1997 passieren) "friends-and-family"-Tarife eingeführt werden. Dies bedeutet, daß für eine bestimmte Anzahl vorher festzulegender Telefonnummern ein besonders niedriger Tarif berechnet wird.
Der andere Grund ist der nun absehbare Beginn des Wettbewerbs. Selbst für den größten Skeptiker ist klar, daß spätestens dann die Telekom sich keine "Mondpreise" mehr erlauben kann. Den Kunden wird's freuen, denn am Beispiel USA, wo der Wettbewerb inzwischen selbstverständlich ist, wird deutlich, daß sich dann nicht nur der Preis, sondern auch der Service rund um's Telefon verbessern sollte. M.W.