Stadtplan Leverkusen


Aus den Ausführungen von Erhard Gipperich

Vorsitzender des Bayer-Gesamt- und Konzernbetriebsrates


Wenn wir heute auf 100 Jahre erfolgreiche Arbeit der Bayer AG auf dem Gebiet der beruflichen Bildung zurückblicken, dann zeigt das: Es gibt mehr Aufgaben für ein Industrieunternehmen als Forschen, Entwickeln, Produzieren und Verkaufen. Ein Konzern wie Bayer hat vielfältige soziale Verpflichtungen. Junge Menschen auf das Berufsleben vorzubereiten und sie für ihre Aufgaben zu qualifizieren ist eine davon.

Gerade in Wochen wie diesen ist es gut, daran zu erinnern. Es wird in unserer hektischen Medienwelt sonst leicht vergessen, dass Bayer viel mehr ist als das Pharma-Unternehmen, welches die Auswirkungen aufgrund der Lipobay-Rücknahme zu verkraften hat. An dieser Stelle will ich das Thema nicht vertiefen. Aber ich will ich dem Ministerpräsidenten unseres Landes, Wolfgang Clement, heute persönlich und auch im Namen der Belegschaft dafür danken, dass er in der jüngsten, manches Mal überzogenen Debatte an unserer Seite gestanden hat. Wir werden das nicht vergessen.

Natürlich hat es mich tief getroffen, dass die Einnahme unseres Medikamentes Lipobay möglicherweise sehr schwer wiegende Nebenwirkungen zur Folge hatte. Es müssen darum auch in Zukunft von allen Seiten sämtliche Anstrengungen unternommen werden, um Nutzen und Risiken von neuen Arzneien noch besser einschätzen und abwägen zu können, um so Nebenwirkungen noch stärker einzugrenzen.

Wir Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer der Bayer AG können es nicht zulassen, dass unsere Arbeit nun leichtfertig verurteilt, verunglimpft und von mancher Seite geradezu kriminalisiert wird. Bei uns wird auf allen Ebenen mit höchster Sorgfalt gearbeitet und mit hoher Verantwortung. Das ist nicht zuletzt ein Ergebnis unserer Berufsausbildung und unserer vielen Weiterbildungsmaßnahmen. Darauf sind wir mit Recht stolz und bleiben das auch.

Und nun wieder zu dem Thema, das im Mittelpunkt der heutigen Veranstaltung steht. Als Bayer 1901 seine Lehrwerkstatt und Lehrlingsschule für Schlosser einrichtete, war es eines der ersten Unternehmen, das über eine solche damals neuartige Einrichtung verfügte. Die Kombination von praktischer Ausbildung und Schule war ein Vorgriff auf die später per Gesetz erhobene und heute für uns selbstverständliche duale Ausbildung. Ich bin der Auffassung, dass das, was Bayer damals begann, sich auch auf das 1952 verabschiedete Betriebsverfassungsgesetz auswirkte. Und das den Betriebsräten mit den Paragraphen 96 bis 98 umfangreiche Möglichkeiten bei der Berufsausbildung, Fortbildung und Umschulung einräumte.

Blicken wir aber wieder zurück. Nach dem Start im Jahre 1901, dem Geburtsjahr der Bildung bei Bayer, wurde 1907 die Abteilung Bildungswesen gegründet. 1908 folgte die Einweihung unseres Erholungshauses, eines Ortes der Kultur und Bildung ? damals wie heute. Anfang des letzten Jahrhunderts galt das bürgerliche Bildungsideal als erstrebenswert. Bildung und Fortbildung bedeuteten schon in dieser Zeit für die Arbeiterschaft berufliches Weiterkommen und sozialen Aufstieg. Als am 18. August 1907 Werksangehörige den Fortbildungsverein für Arbeiter und Handwerker gründeten, war dies ein folgerichtiger und konsequenter Schritt auf dem einmal eingeschlagenen Weg. Was die Väter des Betriebsverfassungsgesetzes erst viel später als eine ihrer Maximen formulierten, war bei Bayer also schon in den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts gültig. Damals sollte der Arbeiter ? und heute gilt das Gott sei Dank für alle Beschäftigten ? den Sinn und den Zusammenhang seiner Tätigkeit verstehen lernen. Als erster Arbeitnehmervertreter in unserem Unternehmen bescheinige ich den Akteuren von damals große Weitsicht.

Mein Dank gilt selbstverständlich auch den heute Verantwortlichen: Vom Vorstand, der bereit ist, in die Bildung zu investieren, bis hin zum personal- und bildungspolitischen Management und den Kolleginnen und Kollegen im Bayer- Bildungsbereich, die hervorragende Arbeit leisten. Wir können mit Stolz feststellen, dass die Berufsausbildung bei uns auf einem sehr hohen Niveau stattfindet, sowohl qualitativ als auch quantitativ. Allerdings wünsche ich mir die Ausbildungszahlen von 1986 wieder zurück, wo wir immerhin 1.645 Neuanfänger in rund 60 Berufen ausbildeten. Heute sind es leider nur noch gut 800 junge Menschen, die einen Ausbildungsplatz bei uns finden. Aber daran lässt sich mit etwas gutem Willen noch einiges positiv verändern.

Ich denke, die Bereitschaft, junge Menschen auszubilden, lässt sich in unserem Land sicher noch steigern, wenn den Unternehmen nicht weiter zugemutet wird, Versäumnisse der Schulen ausgleichen zu müssen. Daher meine Bitte an Sie, Herr Ministerpräsident: Eine Schulreform muss auch beinhalten, dass Kenntnisse für das spätere Berufsleben vermittelt werden. Ich meine nicht nur richtiges Schreiben, Lesen und Mathematik sowie die Naturwissenschaften. Ich denke auch an fundierte Kenntnisse über unsere demokratische Gesellschaftsordnung und ihre Spielregeln. Ein ökonomisches Grundverständnis könnte ebenfalls nicht schaden.

Ich will hier aber nicht nur die Schulen in die Pflicht nehmen. Auch wir, die Eltern, müssen verstärkt Einfluss auf unsere Kinder nehmen und Schulen sowie Ausbildungsbetriebe in ihren Aufgaben unterstützen. Warum, meine Damen und Herren, sind Schule, Ausbildung und Weiterbildung heute wichtiger denn je? Fachwissen ist eine der wichtigen Ressourcen, die wir in Deutschland haben. Sie darf nicht verloren gehen. Besonders im Zeitalter der Globalisierung zählt Wissen zu den Voraussetzungen, um weltweit bestehen zu können. Greencards sind temporär sicher die eine Lösung. Die bessere wäre, in die Bildung zu investieren, damit wir auch künftig wirtschaftlichen und sozialen Erfolg haben werden.

Es ist für mich und meine Betriebsratskolleginnen und -kollegen eine Selbstverständlichkeit, dass in der Aus- und Weiterbildung nicht nur die Starken bessere Möglichkeiten haben. Es ist unsere Pflicht und unser soziales Gewissen, das uns dazu bewegt, auch den Schwächeren in unserer Gesellschaft Chancen zur Ausbildung und zu einem späteren beruflichen Einsatz zu geben. Ich weiß, wir sind bei Bayer auch in diesem Punkt wieder auf dem richtigen Weg. Obwohl ? wir waren, dies betrifft besonders junge Arbeitslose oder Jugendliche ohne Hauptschulabschluss, einmal Vorreiter in der chemischen Industrie. Da sollten wir auch wieder hinkommen!

Meine Damen und Herren, zum bildungspolitischen Programm der Bayer AG gibt es aus Betriebsratssicht noch vieles zu berichten. Das würde jedoch den Rahmen eines Grußwortes sprengen. Sie können versichert sein, dass wir Betriebsräte, wie in der Vergangenheit auch, künftig die vertrauensvolle und stets kooperative Bildungsarbeit mit den Verantwortlichen im Unternehmen fortsetzen.

Eine Bemerkung gestatten Sie mir bitte noch: 100 Jahre Bildung in unserem Unternehmen sind 100 Jahre Erfolg, der sich für das Unternehmen und seine Beschäftigten bezahlt gemacht hat. Ich wünsche uns allen, dass wir nie wieder in die Situation kommen, wie 1931, als der erste hauptamtliche Ausbilder bei Bayer, der das Lehrlabor leitete, wegen Sparmaßnahmen seine Aufgabe beenden musste. Ich weiß, dass heute wieder aus Kostengründen an der einen oder anderen Stelle der Rotstift angesetzt wird. Wenn es dabei um den Erhalt von Arbeitsplätzen im Unternehmen geht, tragen wir Betriebsräte einiges mit. Nicht aber bei der Aus- und Weiterbildung! Denn Investitionen in Schule, Berufs- und Weiterbildung sind Investitionen in die Zukunft.

In diesem Sinne wünsche ich der Bildung bei Bayer weiterhin die erforderlichen Mittel und viel Erfolg!

Quelle: Pressemitteilung der Bayer AG vom 31.08.2001
100 Jahre Bildung
Erhard Gipperich
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Letzte Änderungen: 11.09.2001